Peter Haimerl fängt mit seinem innovativen Architekturstil die Seelen baufälliger Häuser ein. Die neue preisgekrönte Kubentechnik des bayerischen Architekten rettet historische Fassaden (ALPS Magazine #30 2/2016 Review)
Cilli hieß die vorerst letzte Seele des 1840 erbauten Waldler-Hauses im niederbayerischen Viechtach. Als die Bäuerin in den 70er-Jahren starb, übernahm die Familie von Peter Haimerl das alte Haus und der Architekt damit die Verantwortung, es später einmal vor dem Verfall zu bewahren. Er hatte Anfang der 90er gerade sein Architektur-Studium in München beendet und riss voller Tatendrang eine Decke heraus, um mehr Raum in die niedrige Stube zu bringen. „Damit habe ich in die Struktur des Hauses eingegriffen“, sagt Haimerl rückblickend. „Die Häuser hier haben einen starken Charakter, der Geist des Hauses lebt weiter.“ Den wollte er bewahren und zeichnete an die 100 Entwürfe, bis er sich schließlich viele Jahre später als renommierter Architekt an den Umbau wagte. „Es waren die Häuser armer, einfacher Leute. Man musste mit wenig auskommen, das macht die besondere Qualität des Hausbaus im Bayerwald aus.“
Haimerl fasziniert diese Reduktion auf das Wesentliche, die Individualität der alten Architektur, die sich immer den jeweiligen Gegebenheiten und dem Ort anpasste. Und so wollte der mittlerweile in München lebende Architekt die historische Außenfassade komplett erhalten, das Haus nicht „totsanieren“. Vielmehr sollte das Neue vernünftig mit dem Alten umgehen – eine Prämisse für all seine Projekte. Fährt man heute an der kleinen Kapelle vorbei in den Wald hinein, dann sucht man vergeblich nach einem imposanten Neubau. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Die Fassade bröckelt vor sich hin, und man kann sich kaum vorstellen, dass hier jemand wohnt. Die Fassade, aber auch die Grundprinzipien wie der Stall im Haus, ein Austragskammerl an der Nordseite des Gebäudes, der Dachboden als Kornspeicher, eine Scheune unter dem bis zum Boden herabgezogenen Dach blieben erhalten.
Ins Innere des baufälligen Bauernhauses goss Haimerl vier quadratische Betonkuben, hergestellt aus recyceltem Altglas, hochdämmend und umweltverträglich. Der spezielle Beton dämmt das Haus von innen und stützt es nach außen ab. Die Fassade kann weiterleben und das Haus komplett erhalten bleiben. Für diese Technik erhielt Haimerl 2008 den Architekturpreis Beton.Die ehemalige Stube ist jetzt der „Mutter-Kubus“ und der einzige beheizte Raum im Haus. Die drei kleineren Kuben Bad, Küche und Schlafzimmer, sind auch quadratisch und werden über den Kaminofen in der Stube beheizt. „Wir wollten, dass das Haus einigermaßen bewohnbar ist. Aber es sollte kein Haus sein, das uns dient. Vielmehr sollten die Einbauten dem Haus angemessen sein und der Zeit und dem Haus dienen“, so Haimerl. Große Öffnungen im Beton geben den Blick frei auf die alte Fassade und die Fenster sowie auf den Dachboden. Die großen Luken zum Dachboden werden im Winter geschlossen, im Sommer für Licht und Luft geöffnet.
Ein Teil des alten Lehmbodens ist freigelegt. Zeit und Geschichte werden miteinbezogen. „Ich möchte, dass das Flickwerkhafte, Angestückelte des alten Hauses sichtbar bleibt“, sagt Haimerl. „Man soll die Stellen sehen, wo es sich dehnen musste, wo es mit den Bedürfnissen der Bewohner wachsen musste.“ So ist die Geschichte des Gebäudes noch gut ablesbar, an den Schichten abblätternder Farbe, an unterschiedlichen Mauerstärken, die verschiedene Bauphasen markieren, an uralten Stromleitungen, am Futtertrog im Stall. Das gilt auch für das spartanische Interieur. In die alten Räume wurden nur Möbel platziert, die vor dem Umbau vor Ort waren, wie zum Beispiel das alte Holzbett, in dem die Cilli-Bäuerin noch schlief. Sogar ein altes Kleid hängt im Schrank, ein Flickwerk der Jahrzehnte und Spiegel der Zeit, wie das Bauernhaus. Mit kunstvollen Fotografien setzt Haimerls Frau Jutta Görlich genau das in Szene.
In den neuen Betonkuben findet man nur Recyceltes wie Bänke aus altem Holz oder den wärmenden Eisenofen in der heutigen Küche. Das Ferienhaus dient Haimerl auch als Büro und Showroom, wenn er seine Grundprinzipien, seinen innovativen Mix aus Alt und Neu demonstrieren will. Das muss er vermehrt. Denn das Medien-Echo auf sein Projekt „Birg mich, Cilli!“ war groß und weckte das Interesse von Großstädtern sowie von Einheimischen, denen die Idee der erhaltenden Restaurierung gefiel. So gründete Haimerl die Interessengemeinschaft „Hauspaten Bayerwald“, die Bauherren, Architekten, Investoren, Handwerker und Fördergeldgeber für die Hausrettungen zusammen bringt.
Diese Initiative brachte Haimerl auch mit dem erfolgreichen Bariton Thomas Eduard Bauer zusammen. Gemeinsam entwickelten sie eine „Herberge“ für das von Bauer ins Leben gerufene Festival „Kulturwald“. In der kleinen Nachbargemeinde Blaibach entstand dank der beharrlichen Bemühungen der beiden Querdenker und trotz anfänglichen Bürgerprotests ein innovatives Konzerthaus, in dem mittlerweile Weltklasse-Musiker auftreten. Das Haus in Form eines gekippten Granitblocks, der halb in den Dorfplatz versenkt und mit einer Granitschotter-Fassade ausgestaltet ist, wurde großteils aus Förderprogrammen der Bayerischen Landesregierung finanziert. Eine offene Treppe führt unter den gewaltigen Felsen ins Foyer. Von dort gelangt man in den steil ansteigenden Saal, in dem 200 Personen auf Drahtstühlen Platz finden. Die ausgeklügelt gefalteten Sichtbetonwände folgen ausschließlich den Vorgaben der Akustiker. 2015 wählte die Jury des Deutschen Architekturpreises das Blaibacher Konzerthaus aus mehr als 150 eingereichten Projekten aus. Ein Höhepunkt des Schaffens des umtriebigen Architekten, der sich jetzt keineswegs darauf ausruhen will. Gerade wurde sein jüngstes Projekt „Verweile doch“ in Zusammenarbeit mit der Bau- und Entwicklungsfirma Euroboden fertiggestellt. Im Münchner Vorort Riem folgt Haimerl seinem bewährten Cilli-Prinzip, ohne jedoch die Eigenheiten des ältesten Anwesens im Ort zu missachten.
Das Zendath-Anwesen mit Wohnhaus und Stallung wurde um 1750 erbaut. Davon waren allerdings nur noch Teile des Wohntrakts und Überreste des Stalles erhalten. „Mit der anspruchsvollen Transformation des historischen Bauernhauses wollten wir ein wegweisendes Beispiel schaffen im Umgang mit Baudenkmälern“, sagt Euroboden-Geschäftsführer Stefan Höglmaier. Er und Haimerl beschäftigten sich intensiv mit der bewegten Geschichte des Schusterbauer-Anwesens und seiner Bewohner, bevor sie mit dem Einbau von zwei familiengerechten Einheiten begannen. Dabei wurden Wohnhaus und Stallung mit einem spektakulär eingeschobenen Betonkubus verbunden. Das ins 45-Grad-Dach eingesetzte Quadrat schafft neue Ebenen im Haus und spielt mit seinen steilen Schrägen an alpine Regionen an. Während die erste Einheit bis auf die moderne Wohnküche und das Bad größtenteils erhalten blieb, greift Haimerl in der zweiten Einheit radikaler ein. Der Zugang befindet sich hinter dem alten Stadltor, von wo aus man über mehrere Ebenen in einen doppelgeschossigen Raum mit Galerie gelangt. Es folgen ein Wohnraum mit Kamin und die Schlafzimmer. Hier besteht die Architektur ausschließlich aus Sichtbeton, hellem Holz und grauem Filz – lediglich an den Kehlbalken des alten Stadels erkennt man, dass sich hier die Jahrhunderte überlagern.
„Meine architektonische Konzeption geht von zwei Prämissen aus: Erhalt historischer Bausubstanz bei gleichzeitiger Einführung einer räumlichen Innovation“, so Haimerl. Das ist auch in Riem geglückt. Haimerl hat die Seele des Hauses ‚‚wieder eingefangen und mit seinem minimalistischen und doch künstlerischen Anspruch an die Verbindung von Tradition und Moderne Zeichen gesetzt.
Historie & Moderne
Peter Haimerl, 1961 in Viechtach geboren, absolvierte sein Architekturstudium an der FH München. Nach dem Diplomabschluss im Jahr 1987 war er Mitarbeiter in verschiedenen Architekturbüros (u. a. bei Raimund Abraham in Wien und New York). 1991 gründete er sein eigenes Büro in München. Zu seinen bekanntesten Projekten gehören etwa 2006 der Umbau der Salvatorgarage in München, oder 2015 der Umbau des Schusterbauerhauses in Alt-Riem, München. 2008 erhielt Haimerl den Architekturpreis Beton, 2009 den „best architects“ Award in Gold, 2015 den Bayerischen Kulturpreis und den Deutschen Architekturpreis für das Konzerthaus Blaibach. Haimerl ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Infos unter www.peterhaimerl.com