Als kämen sie frisch aus der Scheune: Getränke mit dem Aroma getrockneter Wiesengräser. Eine Verkostung mit dem Sternekoch Ralf Zacherl und Notizen des Gourmetkritikers Thomas Platt
01
Moarwirt Bio Limo Heu
»Ich find’s ja herrlich«, rief Juror Ralf Zacherl. Der Fernsehkoch begeisterte sich gleich an einer ganzen Wiese von Geschmäckern – von Grüner Sauce über Kräutertee und Moos bis zu Holunder und Kirsche reicht das Spektrum, das markante Einzeltöne auf einen gemeinsamen Nenner bringt. Selbst der zwischendurch auffliegende, leicht dumpfe Duft wie aus einer alten Apothekenschublade unterstreicht noch den Eindruck großer Authentizität. Wie eine Konturlinie begrenzt Säure das aromatische Feld. Auch wenn manch einer diesen Zitrusaspekt als zu heftig empfinden mag, liefert er doch die nötige Frische und trägt zum schlanken, trotz Traubensüße fast schwerelosen Eindruck der Erfrischung aus dem Tölzer Land bei. Insgesamt pendelt sie zwischen Limonade und aromatisiertem Mineralwasser.
02
Zötler Heugäuer
Aus einer der ältesten Familienbrauereien der Welt stammt eine Brause, in die Extrakte aus 70 Bergkräutern »aus naturbelassenen Allgäuer Bergwiesen« Eingang gefunden haben sollen. Skepsis ist nicht wegen der hohen Zahl angebracht, sondern weil sich keine einzige dieser Segnungen der Graslandschaft auf Anhieb identifizieren lässt. Gleichsam als Ersatz machte ein verblüffter Ralf Zacherl den Anklang von Vanille-Backaroma in einer insgesamt flachen Aromatik aus. Obwohl Fruchtteilchen im helltrüben Fluidum flirren wie Staub im Sonnenstrahl, ist von Apfel und Traube wenig zu spüren. Dabei machen sie mit 40 Prozent den Löwenanteil der Zutaten aus. Das Ganze vermittelt eher den Eindruck einer Apfelschorle.
03
Herr Frischend
Es kann sich für alle Beteiligten auszahlen, wenn ein Getränk dicht am Gast entwickelt wurde. Hans und Thomas Figlmüller, Wirtsleute im Wiener »Lugeck«, ist nicht nur eine Innovation gelungen, die wegen ihrer vollen Art zu vielen Gerichten der Volksküche passt. Die beiden Brüder haben auch etwas sehr Österreichisches geschaffen – unter anderem, weil an den legendären Almdudler erinnert wird. Wie bei ihm werden die kräuterigen Aspekte von karamelliger Süße aufgefangen. Aber als Erstes denkt man an Bergmatten, Garben und Schober, wenn der Grundton Heu energisch den Ton vorgibt. Gerade auch weil die leicht limonige und von zurückhaltender Kohlensäure getragene Spritzigkeit nicht überhandnimmt, kommt einem dieser muntere Herr weder fremdartig noch gewöhnungsbedürftig vor.
04
Heu & Bräu
Gleichsam blind auf den Duft verlassen sollte man sich nicht. Denn nicht selten wird er vom Gaumen konterkariert. Im Fall dieser Bier-Apfel-Melange aus einer ökologisch wirtschaftenden Kleinbrauerei am Bodensee kündigt der Geruch jedoch exakt das an, was folgt: eine aus Flaschen gezogene Irritation. »Riecht wahnsinnig hefig und dumpf«, sagte Zacherl und verwies zudem auf den Eindruck von überreifer Banane in der Nase. Dies wiederholt sich im Mund, erweitert durch eine leichte Malznote sowie ein bisschen Hopfen. Letztlich hat es den Anschein, als handle es sich nicht um ein Radler beziehungsweise Alsterwasser auf Abwegen, sondern vielmehr um einen ergrauten Federweißen.
05
Allgäuer Heubier
Ein Vollbier mit Heuextrakt zu aromatisieren ist gar nicht mal weit hergeholt. Denn das Charakteristische der getrockneten Wiesenmahd, die Blütendüfte und Kräutertöne mit Stroh, Spelz und erdigen Noten verbindet, schließt sich fast bruchlos an das Herbe und demonstrativ Vegetabile des Hopfens an. Dennoch scheint diese natürliche Erweiterung eines klassischen Geschmacksprofils nicht ganz zu funktionieren. Die für ihre Spezialbiere bekannte Brandenburger Brauerei schiebt nämlich in diesem Fall die Bittertöne zu sehr in den Vordergrund, sodass das Heu erst beim (übrigens allzu raschen) Verflachen des genuinen Biergeschmacks lediglich kurz zum Vorschein kommt. Ein Cameo-Auftritt wie im Kino also – und womöglich auch eine vertane Chance.
06
Heu Soda
Lediglich eine beinahe unmerklich ins Eisgrau spielende Trübung verrät, dass es sich nicht bloß um ein hübsch etikettiertes Tafelwasser handelt. Ebenfalls abseits des Gewohnten tut sich unversehens ein weitgespannter Fächer aus Aromen auf, der auf einem Fundament aus angenehm mineralischem, fast salzigem Quellwasser gründet. Kaum ist die Flasche abgedeckelt, entströmt ihr auch schon eine Atmosphäre, die die Gedanken auf würzige Bergluft lenkt. Wenn der Trunk dann mit der Zunge in Berührung kommt, erlebt man verwundert eine Süße ohne Zucker (genauer wohl: jenen winzigen Moment, welcher der Süße vorausgeht). Auf dieser Grundlage breiten sich geschmackliche Impressionen aus, die an Kamille und Estragon erinnern, an Zimtblüte und sogar die exotische Tonkabohne.
07
Watzmann Wilde Wiese
Von allen Prüflingen besaß diese relativ süße Limonade aus dem Berchtesgadener Land als einzige einen echten Geschmacksverlauf. Er hebt mit einer Nase aus Apfelschale und Apfelessig im Hintergrund an und legt dann im Mundraum noch tüchtig zu. Es sind jedoch nicht einzelne Kräuter – allenfalls die Pimpinelle ragt heraus –, die hier die Musik machen, sondern eine rasche Abfolge grüner Noten sowie dazwischen typische Trocknungstöne. »Sehr, sehr rund und sanft«, nannte sie Ralf Zacherl. Die Harmonie wird vollendet von Zitrusnoten, die weniger spitz als bei anderen Limonaden ausfallen und die zentralen Aromen betonen, ohne sich an ihre Stelle zu setzen. Recht präsentes Heu bleibt bis zu einem Abgang erhalten, der unverhofft mineralisch ausfällt.