500 Jahre sind sie alt, die Mauern des Hotel „Klosterbräu“ in Seefeld. Doch der Wind dahinter, der weht frisch und lebendig. Das Porträt einer außergewöhnlichen Hoteliersfamilie (ALPS Magazine #30 3/2016 Review)
Cristina Seyrling sitzt in der Lobby auf einem Polstersofa und wischt sich die Tränen aus dem Augenwinkel. „Ich bin eine starke Frau“, sagt sie und lacht. Die 58-Jährige hat in dem Hotel ein zweites Zuhause gefunden. „Die Gastronomie ist mein Leben.“ Was Cristina Seyrling an einem Freitagvormittag im März zum Weinen bringt, das ist ihre ungewöhnlich bewegte Familiengeschichte, die sich seit ein paar Generationen hinter den dicken Mauern abspielt. Mit ihren alten Holzbalken und bequemen, weinroten Möbeln wirkt die Lobby gediegen, und die Lounge-Musik, die aus den Lautsprechern säuselt, untermalt diesen Eindruck. Vor dem Fenster in der Fußgängerzone von Seefeld scheint die Sonne, aber hier drin ist das Licht genauso gedämpft wie die Schritte der Gäste auf den dicken Teppichen. Ein typisches 5-Sterne-Hotel also, mit den üblichen Annehmlichkeiten: Spa-Landschaft, Spitzenrestaurants, Weinkeller und zahlreiche Suiten. Normal – bis auf die Familie, die es heuer in sechster Generation führt. Und das Gebäude gerade schick macht für das 500-jährige Jubiläum, das die Mauern im September erleben werden: 1516 begann unter Kaiser Maximilian I. der Bau eines Klosters in Seefeld, nachdem sich in der Kirche eine Hostie blutig gefärbt haben soll und zahlreiche Pilger den Ort des Wunders besuchten. Anfang des 19. Jahrhunderts eröffnet Familie Seyrling in dem Gebäude eine Gastwirtschaft mit Brauerei und Landwirtschaft.
Mitte der 1970er-Jahre lernt die Südtirolerin Cristina ihren zukünftigen Mann kennen. Hotelierssohn Sigi Seyrling ist so fesch, witzig und charmant, dass sie sich fragt, wieso sich den nicht schon längst eine andere geschnappt hat. „Ich wusste ja nicht, was auf mich zukommt“, sagt sie heute. Sie ist 21, als die beiden heiraten, hat das humanistische Gymnasium besucht, beherrscht Altgriechisch und Latein. Berufserfahrung fehlt ihr. Was folgt, sind harte Lehrjahre. Auf Wunsch der Schwiegereltern übernimmt sie die Küchenkasse und das Controlling. „Wir hatten während der Saison keinen freien Tag, das war damals normal“, sagt sie. Heute organisieren sie und ihre Kinder das anders, aber dazu später. Was das Leben der jungen Eheleute besonders anstrengend macht, sind die Arbeitszeiten. Die Mutter ihres Mannes will, dass die beiden im hauseigenen Nachtclub „Kanne“ mithelfen. Das ist der Magnet, der Gäste aus der ganzen Welt anzieht, denn hier treten Roberto Blanco, Chris Barber, Udo Jürgens und Harald Juhnke auf. „Fast täglich waren wir bis drei Uhr früh im Nachtclub mithelfen und dann ab acht Uhr wieder im Büro sitzen“, sagt Cristina Seyrling.
Die junge Frau beißt sich durch, schafft sich ihren eigenen Bereich: Zwölf Jahre lang führt sie eine exklusive Damenboutique im Erdgeschoss, die es heute nicht mehr gibt. Das Paar bekommt drei Kinder: Alois, Laura und Linda. Und dann wird Sigi krank. Er stirbt 2003 im Alter von 50 Jahren. Die Schwiegermutter sagt: „Wir müssen das Hotel verkaufen, du schaffst das nicht allein.“ Aber Cristina ist nicht allein. Sohn Alois bricht seine Ausbildung ab – er besucht die Hotelfachschule in Luzern –, um seine Mama, wie er sie noch heute nennt, zu unterstützen. Da ist er 24. „Meine Schwestern waren mit 15 und 19 Jahren noch zu jung. Aber auch für mich war das sehr früh ohne die Erfahrung meines Vaters, auf die ich zurückgreifen konnte“, sagt Alois und lehnt sich gegen den Tresen im „Bräukeller & Grill Restaurant“. Von hier hat er den besten Blick auf die Bierkessel hinter der Glaswand schräg gegenüber. Die hauseigene Brauerei hat er selbst wieder aufgebaut. Mit 36 Jahren leitet Alois das Hotel seiner Familie jetzt seit 12 Jahren, gemeinsam mit Mama Cristina. „Normalerweise“, sagt er und nimmt einen Schluck Bier, „wäre ich wohl gerade erst eingestiegen.“
So früh Verantwortung zu übernehmen scheint Alois gut bekommen zu sein. Fröhlich nimmt er seinen einjährigen Sohn Luis auf den Arm, während er erzählt, dass das Klosterbräu-Bier erst durch einen Produktionsfehler so gut wurde, dass es 2015 als bestes Bier Österreichs ausgezeichnet wurde. Zwei Wochen vor der Wiedereröffnung der Brauerei kostete er das Bier, das bald ausgeschenkt werden sollte. Es schmeckte lack. „Wir hatten vergessen, die Druckventile zu schließen. Dadurch entwich die ganze Kohlensäure.“ Da keine Zeit blieb, neu zu brauen, ließen die Seyrlings es nachgären. Heraus kam ein Bier, das lieblich schmeckt und nicht zu hopfig. Weil es so süffig ist, mögen es auch die Damen recht gern, und – was Alois besonders freut: „Du muss selten pieseln gehen, und so bleiben die Gäste auch gerne länger sitzen.“ Heute duftet es im ganzen Haus, wenn gebraut wird, und zum 500-jährigen Jubiläum im Herbst wird es ein Bier geben, das mit Champagner-Hefe gebraut wird. Wie damals, als die Augustinermönche Pilger bewirteten.
An der Spa-Rezeption steht Alois’ Schwester Laura inmitten edler Kosmetik-Tiegel und streicht die lilafarbene Schürze ihres grünen Dirndls glatt. Die Tracht kombiniert sie zu derben Bikerboots und bringt damit zum Ausdruck, dass mit ihr und ihren Geschwistern eine neue Generation übernommen hat. „Wir waren die erste Generation, die aus freien Stücken im Betrieb eingestiegen ist“, sagt die 32-Jährige. Sie ist sich lange unsicher und verbringt ein halbes Jahr in Mexiko, macht einen Master in Barcelona und hängt fünf Monate Argentinien dran. Dann, plötzlich, ist sie da, die Gewissheit. „Ich will heim“, sagt sie und verlegt ihren Rückflug, der erst eine Woche später gehen soll. „Keiner zu Hause wusste Bescheid“, ich stand vor der Tür und sagte: „Jetzt bin ich bereit und freue mich mit euch zu arbeiten.“ Laura übernimmt den neu ausgebauten Wellness-Bereich, wo die schlanke, junge Frau mit den blonden Haaren sich bis heute gut aufgehoben fühlt. Wichtig sei es, dass jeder in der Familie seinen eigenen Bereich habe. So könne man schnell Entscheidungen treffen und gehe einander nicht auf die Nerven. Dadurch entsteht eine ungewöhnlich enge, gute Zusammenarbeit innerhalb der Familie, von der lange nicht klar war, ob es sie überhaupt geben würde.
Wir brauen jetzt wieder unser eigenes Bier für die Gäste – wie die Mönche damals für die Pilger
Heute leitet Alois mit Mama Cristina das Hotel und kümmert sich um alle Restaurants, eine kleine Landwirtschaft, Finanzen und Personal, Laura macht den Spa-Bereich und die 28-jährige Linda Reservierungen und die Rezeption. Gegenseitig ermöglichen die Seyrlings sich Freiräume, sodass die jungen Leute auch mal ausgehen und Freunde treffen können. Urlaube verbringt die Familie hingegen gern miteinander und isst jeden Tag gemeinsam zu Mittag. Zusammenhalt – ein altmodisches Wort, das zu dieser jungen Familie passt, die das Erbe ihrer Vorfahren fortführt.
Zurück in der Lobby. Cristina Seyrling wischt sich schon wieder eine Träne aus dem Augenwinkel, als sie sagt: „Dass wir alle gemeinsam hier arbeiten, freiwillig und gern, das betrachte ich als mein Lebenswerk. Denn die Familie zusammenzuhalten, das ist meine Stärke.“ Sogar Bruder und Vater von Alois’ ungarischer Frau Agnes sind nach Tirol gezogen, um den Familienbetrieb zu unterstützen, und dass Lauras Mann Wolfgang im Hotel arbeiten könne, war Cristinas Idee: „Ich bin die gute Seele des Hauses.“
Hotel Klosterbräu*****&SPA
Familie Seyrling, Klosterstrasse 30
A-6100 Seefeld / Tirol, T. +43/5212/2 62 10
Web: www.klosterbraeu.com