Hans Kammerlander über die Bedeutung von Seilschaften – am Berg und im Tal
Eine gute Seilschaft entsteht meistens dort, wo es die wenigsten vermuten: unten im Tal. Da merkst du schnell, ob die Chemie stimmt. Wenn es dir schon im Vorfeld Freude macht, einen Menschen zu treffen, Pläne mit ihm zu schmieden oder gemeinsam im Auto zu einer schwierigen Wand zu fahren, das sind Voraussetzungen, dass es auch am Berg zusammen klappt. Ein guter Kletterer oder Bergsteiger zu sein, reicht dafür allein nicht aus. Das habe ich im Lauf der Zeit mehr als einmal erlebt.
1989 stellte Reinhold Messner eine Expedition auf die Beine und lud dafür einige der besten Bergsteiger der damaligen Zeit ein, darunter auch mich. Unser Ziel war die bis dahin unbestiegene Südwand des Lhotse. Wir sind grandios gescheitert. Niemand wollte sich im Vorfeld verausgaben und dadurch seine Möglichkeit auf den Gipfel verspielen. Und als ich im Rahmen der Second Seven Summits eine Besteigung in der Antarktis plante, brauchte ich zwei Partner, um die Genehmigung zu bekommen. Wir waren eine reine Zweckgemeinschaft und genau so hat es sich am Ende angefühlt. Wenn Menschen nur auf dem Reißbrett zur Seilschaft zusammengewürfelt werden, ist der tausendprozentige Einsatz für das Team nicht da.
Wie willst du solchen Partnern, die nur ihren eigenen Erfolg im Blick haben, am Berg vertrauen? Das ist nicht möglich. Konkurrenzdenken ist da oben völlig fehl am Platz. Es gefährdet sogar deine Sicherheit. Eine Seilschaft wird ihrem Namen nur dann gerecht, wenn alle an einem Strang ziehen. Meine Anfangsjahre als blutiger Anfänger auf den Achttausendern an der Seite von Reinhold Messner haben mich in der Hinsicht sehr geprägt. Mit welchem Einsatz der am Berg unterwegs war! Er hat sich teilweise so nach vorne gepusht, dass er sich fast übergeben musste.
Die Seilschaft mit Reinhold hat wunderbar funktioniert, weil beide alles gegeben haben, und wir uns über die Berge hinaus viel zu sagen hatten. Als sein Weg an den Achttausendern zu Ende war, musste ich mich neu orientieren. Es haben sich andere Seilschaften entwickelt. Wie wertvoll sie waren, habe ich manchmal erst im Nachhinein gemerkt. Wenn Partner verunglückt sind und eine riesige Lücke hinterließen. Oder wenn sie entschieden, den höchsten Bergen den Rücken zu kehren. Manch einer in jungen Jahren guten Seilschaft kam auch mein Erfolg dazwischen. Als ich mit meinen Skiabfahrten eine neue Spielwiese entdeckte und plötzlich weltweit Schlagzeilen machte, war das für manchen früheren Weggefährten nur schwer auszuhalten.
Im Grunde genommen ist das ganze Leben eine einzige Seilschaft. Nach dem frühen Tod meiner Mutter wurde meine große Schwester Sabine so etwas wie meine erste Seilpartnerin, die mich sehr unterstützte. Und nach den Rückschlägen, die ich am Berg und im Tal erlebt hatte, gaben Freunde Halt. Einige Freundschaften sind gerade in den schwierigen Momenten auf der Strecke geblieben. Den Wert einer Seilschaft merkst du eben erst, wenn du an deine Grenzen stößt.
Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.
Web: www.kammerlander.com