Die Geborgenheit unter dem Holzdach der Hütte, die Unbeschwertheit unter freiem Himmel, das einträchtige Zusammenleben mit Rindern und Schweinen, die Stille: unterwegs zu den zehn (vielleicht) schönsten Almen in Österreich (ALPS Magazine #30 2/2016 Review)
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Auf der Brandalm lebt man eine moderne Almwirtschaft
Knapp anderthalb Meter groß, zwischen sechshundert und siebenhundert Kilogramm schwer, das Fell rotbraun, Rücken, Bauch und Schwanz weiß gezeichnet. Hervorragende Mutterleistung, beste Anpassung ans alpine Gelände: So der Steckbrief des Pinzgauer Rindes, eine uralte Rasse und darin Lieblingstier von Biobauer Fritz Schrempf. Wenn sich der Schnee auf ein paar Flecken zurückgezogen hat, schickt er Kohlröserl, Enzian und ihre Gefährtinnen auf die Brandalm unterhalb des Dachsteins auf Sommerfrische. Ein Jungbrunnen: Die dünnere Luft regt die Atmung an, die Zahl der roten Blutkörperchen steigt. Das Herumklettern und die UV-Strahlung festigen Sehnen und Muskeln und sind gut für Herz und Lunge.
Auf der Brandalm bringt Fritz Schrempf die Produkte von seinem Hof auf den Tisch: Fleisch von seinen Pinzgauern, hausgemachte Krapfen oder Kaspressknödel. Neben der Hütte hat er drei kleine Almhäuser errichtet, aus vierhundert Jahre altem Holz und mit dem Komfort von heute: ein langsam gewachsenes Konzept. Er sei kein Träumer, meint Fritz Schrempf. Tradition und Bodenständigkeit sind wichtig, verbunden mit dem Wissen um eine moderne, unserer Zeit angepasste Almwirtschaft. „Alles andere ist Kitsch.“
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Jagdhausalm: Weltwunder über der Baumgrenze
Das tibetische Dorf, so nennt man die Jagdhausalm im Nationalpark Hohe Tauern, das vielen als Weltwunder gilt. Die Ursprünge der fünfzehn Steinhäuser am Ende des Osttiroler Defereggentales reichen zurück bis ins Jahr 1212. Die Weiderechte liegen bis heute bei Südtiroler Bauern, die hier die größten Grundbesitzer sind: Mitte Juni bringen sie ihre Kühe und Kälber vom Südtiroler Reintal auf die Osttiroler Almböden, um sie im September heimzuholen. Eine Form der Transhumanz, wie sie selten geworden ist.
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Watschiger Alm: Blumenzauber auf der Alm
Kärntner Kuhtritt, so hat man die Wulfenia früher einmal genannt und sich über Jahrhunderte hinweg gewundert: Wie ist die wundersame blaue Blume auf die Wiesen am Fuß des Gartnerkofels gekommen? Wieso hat sie sich gerade hier so vermehrt? Inzwischen weiß man, dass die Pflanze aus Afghanistan und dem Himalaya stammt und seit dem Tertiär in Kärnten, Albanien und Montenegro wurzelt. Wer im Juni oder Juli zur Watschiger Alm in den Karnischen Alpen aufsteigt, den erwarten blau blühenden Almmatten.
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Das Karlbad: Alpines Kuren auf der Alm
Man könnte sich fürchten: Nebel wabert durch den Raum. Ein Zischen und Brausen ist zu hören, ab und zu auch ein Knall. Bis sich der Dunst setzt und die Konturen von fünfzehn Badezubern aus dem Dampf tauchen. Und mit ihnen ein junger Mann, der seine Gäste mit einem lauten „Boooodn“ herbeiruft. Hans-Jörg Aschbacher hat gerade eine Ladung glühender Steine in einen mit Wasser gefüllten Holztrog geworfen: auf dass die tausend Grad heißen Brocken das kalte Wasser erhitzen und dabei Heilkräfte freisetzen. Wer nun in die Wanne steigt und dort etwa dreißig Minuten ausharrt, gesundet, wie es heißt.
Seit über dreihundert Jahren gilt das Karlbad im Nockalmgebiet als Inbegriff alpinen Kurens. Bei einer Quelle auf 1693 Metern Höhe suchten die Bauern nach Linderung ihrer Schmerzen, wenn sie Gicht und Rheuma plagten. Kaum war das erste Heu eingebracht, hatten sie Zeit, um nach den Tieren auf den Bergweiden zu sehen und sich dabei einige Bäder zu gönnen. Kurzurlaub nennt man das heute, oder auch Wellness auf der Alm: in einem Holzhaus mit sieben Zimmern ohne Strom und Handyempfang, und dafür mit Gesprächen und Gedanken, die anders dahinziehen als unten im Tal. Der eigentliche Luxus unserer Tage.
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Stamser Alm: Kunst auf höchster Höhe
Die kunsthistorisch wohl eindrücklichste Alm der Alpen. Über der Waldgrenze, hoch über dem Inntal taucht unvermutet eine prächtig freskierte Kapelle im Stil des Rokoko aus dem Grün und Grau der Berglandschaft. Neben der Almhütte liegt auch reich bemalte, stattliche Konventhaus: die Sommerfrische der Mönche von Stift Stams, erbaut 1744, um den Patres „die Gelegenheit zu einer manchmal notwendigen Abspannung zu verschaffen“ und sie gleichzeitig aufs Schönste an ihre Pflichten als Seelsorger zu erinnern.
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Alpe Oberüberluth: Brettljause mit Aussicht
Vorarlberg und der Käse: Das gehört zusammen. Und das weiß man auch auf der Alpe Oberüberluth, wo die Familien Martin und Nigsch mit ihren Kühen, Schweinen und Hühnern den Sommer verbringen. In der Sennerei lagern ihre Schätze, die sich vor Ort aufs schönste verkosten lassen: Alpkäse, Schafwürste und der Speck der Alpschweine. Neben der Hütte hat Andrea Martin einen Kräutergarten angelegt. Schittlauch, Kapuzinerkresse und Rosmarin landen in ihrem Frischkäse: auf frischem Brot eine Delikatesse.
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Susanne Türtscher und die Geheimnisse der Almkräuter
„Im Klännö ischt das Gröoscht vrborgo“, so Susanne Türtscher in ihrem melodiösen Alemannisch: Im Kleinsten liegt das Größte verborgen. Auf der Alp Klesenza, im Schatten der mächtigen Roten Wand im Großen Walsertal, setzt sie sich den Geheimnissen der Almkräuter auf die Spur: die Meisterwurz, dem Frauenmantel oder der Arnika, die sie zu Salben, Tinkturen und Tees weiterverarbeitet oder in schmackhafte Salate und Aufstriche mischt.
Susanne Türtscher schöpft aus dem uralten Wissen um die vielfältige Wirkung von den Wurzeln, Blüten und Blättern alpiner Pflanzen. In der kurzen Zeit ihrer Entfaltung erfahren sie Wind, Kälte und Sonneneinstrahlung besonders intensiv. Entsprechend groß sind ihr Aroma und ihre Heilkraft: Schätze, die es zu beheben und für die Nachwelt zu bewahren gilt. „Die Almen gehören zu den wenigen unversehrten Gegenden, die wir noch haben“, erklärt Kräuterpädagogin Susanne Türtscher. „Das sind unsere Ressourcen, und die sollten geschützt bleiben für alle, die Sehnsucht haben nach so einem Platz, wo man Antworten findet auf die wesentlichen Fragen unserer Existenz: Woher komme ich, wohin geht es?“ Die Klesenza mit ihren prächtigen Almwiesen weist dabei den Weg.
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Kranichberger Schwaig: Musikantentreffen
Wien ist nicht weit, und doch: Am Fuß des Hochwechsels sind die Häuserschluchten schnell vergessen, hier wartet ein Stück Freiheit, wie man es in der Stadt nicht findet. An einem der ersten Junisamstage ist es mit der Beschaulichkeit vorbei, wenn man auf der Kranichberger Schwaig und auf den anderen Almen und Hütten der Gegend zum Schwaigen Reigen lädt: ein Almfest mit vielen Musikanten und Sänger. Erst lang nach Mitternacht legt sich wieder Ruhe über Weiden und Wälder.
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Gadaunererhochalm: Bilderbuchidylle
Ganz hinten am Talschluss von Gastein, wo man nur mehr steile Bergspitzen und schroffe Hänge vor sich hat, liegt etwas verborgen die Gadaunerer Hochalm. Eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch: prall grüne Wiesen und darin gleich mehrere urige Hütten. Wer hoch hinaus will, steigt auf den Kalkbretterkopf (2412 m) oder die Türchlwand (2577) und stärkt sich danach mit einer kräftigen Almjause auf der Feldinghütte.
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Bärenfeuchtenalm: Almleben hält jung
Sennerin Cilli Kerschbaumer ist längst zur Legende geworden: Schon weit in ihren 90ern bewirtschaftet sie die Hütte oberhalb der Stoiringalm seit vielen Jahrzehnten und sorgt dafür, dass Wanderer bei den Steirerkas- und Speckbroten ordentlich zugreifen. Die Bänke und Tische sind verwittert, die Pelargonien strahlen in tiefem Rot, der Blick zieht übers Ennstal und hinauf zum Gipfel des Hochtausings, einer der eigenwilligsten Erhebungen weit und breit: So könnte ein Stück vom Paradies aussehen.
Almen in Österreich
Von Menschen und Tieren, vom Gestern und Heute
Susanne Schaber, Fotos: Herbert Raffalt, Tyrolia Verlag, 184 Seiten, 142 farb. Abb., 34,95 Euro
Infos unter www.tyroliaverlag.at
Prall grüne Bergwiesen voller saftiger Kräuter, das Bimmeln der Kuhglocken, die mit Holzschindeln gedeckte Hütte: Almen sind Sehnsuchtsorte. Die Unbeschwertheit unter freiem Himmel, das einmütige Zusammenleben mit den Tieren, die selbstproduzierten Nahrungsmittel und das langsamere Dahinziehen der Zeit – all das gehört zu den Wunschträumen unserer Tage. Herbert Raffalt und Susanne Schaber haben sich auf die Suche gemacht nach dem wirklichen Leben auf der Alm, haben dabei Hirten, Almbauern und Volkskundler getroffen und das Wesen des Almlebens von heute erkundet. Ihre Bilder und Texte spiegeln die Vielfalt der Regionen und Kulturen und erzählen vom Reichtum der Traditionen und von einem historischen Erbe, das es zu bewahren gilt. Hundert spezielle Tipps machen Lust, die schönsten Almen Österreichs auf eigene Faust zu entdecken.