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Magadalena Neuner – Ich lebe im Hier und Jetzt

Interview mit Magdalena Neuner. Magdalena Neuner. Magdalena Neuner stand mit vier Jahren erstmals auf Alpinski. Mit neun wechselte sie zum Biathlon. Als sie im März 2012 ihre aktive Karriere beendete, war sie unter anderem zwölfmalige Weltmeisterin, Doppel-Olympiasiegerin in Vancouver und dreifache Sportlerin des Jahres.

DER STAR Magdalena Neuner stand mit vier Jahren erstmals auf Alpinski. Mit neun wechselte sie zum Biathlon. Als sie im März 2012 ihre aktive Karriere beendete, war sie unter anderem zwölfmalige Weltmeisterin, Doppel-Olympiasiegerin in Vancouver und dreifache Sportlerin des Jahres © Foto: Nicolas Olonetzky/Lana Grossa

Ein Gespräch mit Magadalena Neuner über Heimat, Nichtstun und worauf es im Leben wirklich ankommt

Ruhpolding im Januar. Das Wochenende, als der Winter in Deutschland doch noch Einzug hält. Weltcup-Wochenende. Die Biathlon-Elite gastiert im Chiemgau. Da darf sie nicht fehlen. Pflichttermin sozusagen. Für viele ist sie immer noch das Gesicht des Biathlon. Keine ist erfolgreicher. Keine hat so viele Medaillen gesammelt. Sportlich hat sie alle Höhepunkte erreicht. Privat erklimmt sie jetzt ganz andere Gipfel. Wir treffen die Neuner-Lena, die seit ihrer Heirat offiziell Magdalena Holzer heißt, im Hotel „Zur Post“. Die Zeit drängt. Ein Termin jagt den anderen. Doch Magdalena ist die Ruhe selbst.

ALPS: Frau Neuner, Gipfel spielen eine gewisse Rolle in ihrem Leben …
MAGDALENA NEUNER: … stimmt, während meiner Biathlon-Karriere habe ich einige Mount Everests bestiegen. Das war mit viel Training und Anstrengung verbunden, und es war natürlich immer ein tolles Gefühl, ganz oben zu stehen. Aber nun ist es auch schön, mal nur auf die Wallgauer Alm zu gehen. Dort oben kann ich jetzt einfach die Ruhe genießen.
ALPS: Ist das Ihr Lieblingsort in den Bergen?
NEUNER: Ach, ich mag das ganze Soiern-Gebiet, die Schöttelkarspitze etwa. Aber die Wallgauer Alm hab ich schon besonders gern, nicht nur, weil sie so heißt wie mein Heimatort. Das ist einfach ein schöner Almboden, wo man sich auch mal in Ruhe hinsetzen kann.
ALPS: Auch wegen des Kaiserschmarrns?
NEUNER: Den gibt’s dort gar nicht.
ALPS: Wo denn dann?
NEUNER: Früher hätte ich Sie zur Esterbergalm geschickt, die hat meine Großtante bewirtschaftet. Da sind wir immer extra hoch wegen des Kaiserschmarrns. Aber im „Hotel Post“ in Wallgau gibt’s auch einen guten, das weiß ich. (Lacht.)
ALPS: Können Sie selbst einen?
NEUNER: Mache ich ganz selten, aber wenn dann nach dem Rezept vom Alfons Schuhbeck, der ist schön fruchtig. Aber ich lasse mich auch gern bekochen.
ALPS: Was bedeutet Freiheit heute für Sie?
NEUNER: Es war schon ein Stück Freiheit, als ich mich vom Biathlon gelöst habe. Das ist gar nicht negativ gemeint. Aber dort bist du Teil der Mannschaft, hast deine Trainer, deinen Arbeitgeber, Leute, die natürlich Erfolge von dir erwarten. Als ich dann aufhörte, kam schon so ein Gefühl: „Wow! Ich bin jetzt frei, jetzt darf ich wirklich selbst entscheiden, was ich tue, wie ich es tue, in welcher Geschwindigkeit ich es mache, wann ich es mache.“ Ich habe zwar immer noch viele Termine. Aber ich habe es jetzt wieder selbst in der Hand. Und das ist mir schon wichtig.
ALPS: Auch mal nichts zu tun?
NEUNER: Das kann ich gar nicht. Selbst wenn ich abends auf der Couch sitze, fällt es mir schwer, einfach nur Fernsehen zu schauen. Ich muss mindestens nebenher handarbeiten.

„HEIMAT ist ein GEFÜHL“

ALPS: Und früher?
NEUNER: Während meiner aktiven Zeit auf dem Hotelzimmer zu sitzen, nichts tun zu können außer abzuwarten, bis in fünf, sechs Stunden der Wettkampf beginnt, das war für mich schon immer auch eine Zeit, die mich zum Nachdenken gebracht hat: „Was tue ich hier eigentlich? Ich kann hier nichts tun!“ Das hat mich schon gestresst.
ALPS: Hatten Sie denn Sie viel Heimweh damals?
NEUNER: Ich habe mich jedenfalls immer auf daheim gefreut. Wenn ich nach drei Wochen wusste, übermorgen geht’s heim, hab ich schon gern meine Tasche gepackt. Und es war dann schon auch immer ein bisschen Aufregung mit dabei. Natürlich gewöhnst du dich an das Unterwegssein. Aber ich hatte schon auch Sehnsucht nach den liebsten Menschen zu Hause, meine Freunde, meine Familie, meinen Freund.
ALPS: Haben Sie nie daran gedacht, dass Zuhause auch anderswo sein könnte?
NEUNER: Als ich mit dem Sport aufgehört habe, haben wir uns schon gefragt: Wo lassen wir uns nieder? Wo bauen wir vielleicht mal unser Haus hin? Mein Mann wollte ja eigentlich immer im Wallgau bleiben. Aber ich habe gesagt: „Ein bisschen Richtung Stadt vielleicht, wo etwas mehr los ist, das wäre auch nicht schlecht.“
ALPS: An welche Stadt hatten Sie da gedacht?
NEUNER: Ich hätte mir Garmisch-Partenkirchen gut vorstellen können. Aber das hat sich, seit unsere Tochter da ist, wieder komplett verändert. Jetzt bin ich so froh, in Wallgau zu sein. Ich hatte hier die schönste Kindheit, die ich mir vorstellen kann. Ich freue mich, dass sie in einer relativ heilen Welt aufwachsen darf. Und dafür muss man schon auch sehr dankbar sein!
ALPS: Und jetzt, wo Sie viel daheim sind, haben Sie hin und wieder Fernweh?
NEUNER: Nur in puncto Urlaub. Wenn es nach mir ginge, würde ich gern öfter mit der Familie wegfahren. Aber ich bin schon ein Kind der Berge. Das wird auch immer so sein. Wir bleiben selbst im Urlaub am liebsten in den Bergen. Dann fahren wir nach Südtirol. (Lacht.)
ALPS: Und Fernweh nach dem Weltcupzirkus?
NEUNER: Natürlich, der gehörte einfach zu meinem Leben.
ALPS: Was ist eigentlich anstrengender: Spitzensportlerin oder Mutter?
NEUNER: Ich hab jetzt manchmal mehr Stress, weil ich einfach viel mehr organisieren muss. Ich muss mich ja nicht nur um mich kümmern, sondern gucken, wo geht die Kleine dann hin? Aber seit mein Mann zu Hause bleibt, können wir uns das ganz gut einteilen.
ALPS: Das hört sich so an, als hätte die Familie jetzt Vorrang?
NEUNER: Nach meinem Karriereende habe ich gemerkt, dass mir viele Türen offenstehen und ich jetzt die Gelegenheit habe, Dinge auszuprobieren. Ich möchte mich da eigentlich gar nicht festlegen. Die Freiheit nehme ich mir. Trotzdem: Familie geht vor. Ich habe auch kein Problem damit, ausschließlich für die Familie präsent zu sein. Das ist für mich mindestens genauso schön wie die größten sportlichen Erfolge. Das kann, glaube ich, jeder, der Kinder hat, gut nachvollziehen.
ALPS: „Heimat“, haben Sie ins Goldene Buch Ihrer Heimatgemeinde eingetragen, „ist kein Ort, sondern ein Gefühl“. Wie kam es dazu?
NEUNER: Ich saß bei meiner Mama in der Küche, vor mir das Goldene Buch. Das hatte mir der Bürgermeister mitgegeben und gesagt: „Überleg dir was! Schreib was rein.“ Also sage ich zur Mama: „Ich würde gern was über Heimat schreiben.“ Und sie fragt: „Ja, was ist denn für dich Heimat?“
ALPS: Und was haben Sie geantwortet?

Interview mit Magdalena Neuner. Magdalena Neuner 29, ist in Garmisch-Partenkirchen geboren. 2014 heiratete Neuner den Zimmerermeister Josef Holzer, dessen Nachnamen sie offiziell trägt. Im selben Jahr kam die gemeinsame Tochter Verena Anna zur Welt.

DER MENSCH Magdalena Neuner, 29, ist in Garmisch-Partenkirchen geboren. 2014 heiratete Neuner den Zimmerermeister Josef Holzer, dessen Nachnamen sie offiziell trägt. Im selben Jahr kam die gemeinsame Tochter Verena Anna zur Welt © Foto: Nicolas Olonetzky/Lana Grossa

NEUNER: Das kennt, glaube ich, jeder: Wenn man unterwegs war – und ich war ja damals viele Wochen weg und man kommt nach Hause, sieht die vertraute Umgebung –, da macht das Herz einen kleinen Sprung und sagt: „Hach, jetzt bin ich daheim!“ Und dann habe ich halt reingeschrieben: „Heimat ist ein Gefühl.“
ALPS: Möchten Sie das auch Ihren Kindern vermitteln?
NEUNER: Auf jeden Fall. Da nehme ich auch meine Eltern als Vorbild. Wir sind früher viel in die Berge gegangen. Mein Vater hat uns schon als Kleinkinder mit auf Hüttentouren genommen.
ALPS: Wie alt waren Sie da?
NEUNER: Bei der ersten Tour, an die ich mich erinnern kann, sind wir mit dem Papa allein auf den Krottenkopf und haben in der Weilheimer Hütte übernachtet. Da war ich erst vier und mein großer Bruder sieben. Das fand ich total schön. Und das möchte auch meinen Kindern vermitteln: Wie wertvoll unsere Natur ist, die Berge, welche Ruhe dort oben noch herrscht und wie man dort auch einfach mal nur so dasitzen und zu sich kommen kann. Das wäre mir schon wichtig.
ALPS: Mit allem Drum und Dran?
NEUNER: Natürlich. Wir leben ja in einer Gegend, in der Bräuche und Traditionen noch sehr gelebt werden. Und man muss ja echt dankbar sein, dass es bei uns noch so ist. Manchmal wünschte ich mir, dass die Menschen ein bisschen offener dafür wären. Es ist ja wirklich einmalig, wie viele Leute hier etwa Plattler-Proben machen oder sich im Trachtenverein engagieren. Das sollte auf jeden Fall aufrechterhalten werden. Ich möchte schon, dass sich meine Kinder da ein bisschen mit einbringen. Für mich war das damals immer toll, dabei zu sein.
ALPS: Ist das auch ein Bekenntnis für die Region, in der man lebt?
NEUNER: Auf jeden Fall. Denn die Kinder sind ja diejenigen, die es weitertragen werden, genauso wie wir es jetzt versuchen: Mein Mann hat am Sonntag meistens die Lederhose an. Das ist für ihn ganz selbstverständlich. Er spielt in der Musikkapelle. Wir sind auch beide im Trachtenverein. Aber wenn unsere Kinder sagen sollten, dass es sie nicht interessiert, haben wir kein Problem damit. Dann ist es so.

„Ich bin schon ein KIND der BERGE“

ALPS: Was braucht es für Sie,um sich heimisch zu fühlen?
NEUNER: Erst einmal Menschen, die man gerne mag, die einem wichtig sind. Für mich bedeutet Heimat zunächst vor allem Familie. Ich bin es halt gewohnt, dass ich schnell mal zur Mama rüber kann. Gerade jetzt mit der Kleinen, die liebt ja ihre Großeltern, merke ich auch, wie wichtig das für ein Kind ist, so eine Basis zu haben: „Hier bin ich daheim. Da sind die Menschen, die wichtig für uns sind.“
ALPS: Wichtiger als der Sport?
NEUNER: Seit meine Tochter auf der Welt ist, habe ich dafür kaum noch Zeit. Wenn es passt, gehe ich zwei-, dreimal die Woche Langlaufen …
ALPS: … und ein bisschen Gymnastik?
NEUNER: Meine Fitnessgymnastik ist meine Tochter, die hält mich auf Trab! Die ist ganz schön lebhaft. Aber jetzt, da mein Mann daheim ist, hoffe ich, dass ich mich wieder ein bisschen mehr auch auf meinen Sport konzentrieren kann.
ALPS: Sehen wir Sie dann künftig wieder häufiger in der Öffentlichkeit?
NEUNER: Ob ich nächstes Jahr noch mal die Wettkämpfe als TV-Expertin begleite, weiß ich nicht. Ich dränge mich da nicht auf. Wenn ich gefragt werde, entscheide ich. Aber wer weiß denn schon, was nächstes Jahr ist. Mich fragen die Leute immer, was ich in zehn Jahren so mache werde. Wer bitte schön kann denn schon solch einen Zeitraum überblicken? Wichtig ist es, im Hier und Jetzt zu leben.
ALPS: Gibt es überhaupt noch Gipfel, die Sie erreichen wollen?
NEUNER: Das ist wie in der Natur. Da gibt es auch die unterschiedlichsten Gipfel, manche sind höher, steiler, schwerer zu erklimmen. Andere sind nicht so hoch, vielleicht mit Gras bewachsen, ein bisschen niedriger, nicht so schwer zu erklimmen, aber mindestens genauso schön! Und ich glaube, das gilt im übertragenen Sinne auch im Leben.
ALPS: Sie meinen Ihr Privatleben …
NEUNER: Ja, ich genieße es sehr, einfach mit meiner Tochter zusammen zu sein. Mein Mann und ich wollen vielleicht noch weitere Kinder – und das sind mindestens ebenso schöne Gipfel. Bei der Geburt meiner Tochter habe ich intensiv gespürt, für was ich eigentlich auf der Welt bin. Wenn Sie so wollen, war das mindestens ein Mount Everest.