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Extrem-Klettern – Stefan Glowacz und die Schwarze Wand

Extrem-Klettern – Stefan Glowacz und die Schwarze Wand. Stefan Glowacz, 52, hat in seinem Leben als Spitzenkletterer schon viel erreicht, aber die Schwarze Wand im Wettersteinmassiv hat er noch nicht bezwungen.

Stefan Glowacz, 52, hat in seinem Leben als Spitzenkletterer schon viel erreicht, aber die Schwarze Wand im Wettersteinmassiv hat er noch nicht bezwungen © Fotos: Moritz Attenberger, Anton Brey

Kletterstar Stefan Glowacz hat die schwersten Wände in aller Welt bestiegen. Die größte alpine Herausforderung seines Lebens hat er vor seiner Haustüre gefunden. ALPS-Autor Christian Thiele hat ihn im Frühsommer 2017 bei seinem Versuch, die Schwarze Wand zu bezwingen, beobachtet

Leck mich am Aaaaarsch!“ Als wäre es ein böser Berggeist mit deftigen Manieren, so schallt es aus der Wand herab. Ein Blick durchs Fernrohr: Er hat es wieder nicht geschafft. Er zappelt im Seil wie eine Marionette auf Koks, schüttelt die Arme, pendelt hin und her. Und man weiß schon jetzt: Es wird nicht lange dauern, dann nimmt Stefan Glowacz noch mal einen Anlauf, wird es noch einmal probieren, die Schlüsselstelle zu überwinden. Und dann nochmal, wenn es sein muss, und nochmal und nochmal. Bis es wehtut und, davon ist auszugehen, weit darüber hinaus.

Die Schwarze Wand im Höllental. Im vielleicht wildesten hochalpinen Tal, das Deutschland hat, wenige hundert Meter weg von seinem höchsten Berg, der Zugspitze, steht sie da. Eine grimmige und stolze Wand. Eine Wand, an der sich Generationen von Kletterern abgearbeitet haben, einer nach dem anderen hat hier Projekte angefangen und kaum je eines zu Ende gebracht, es ist die Wand der unvollendeten Touren. Ausgerechnet hier, quasi vor der Haustüre, wo er aufgewachsen ist, will Stefan Glowacz im für Kletterer biblischen Alter von 52 Jahren die vielleicht härteste alpine Nuss seines Lebens klettern. Kreuz und quer durch die Berge dieser Erde hat er die schwersten Routen ihrer Zeit eröffnet, er ist durch Höhlen im Oman geklettert und hat Dschungelfelsen im Amazonas bezwungen. Aber hier, im heimischen Wettersteinmassiv, hat er diesen einen Felsen, der ihn seit zehn, 15 Jahren immer wieder abwirft: die Schwarze Wand.

Extrem-Klettern – Stefan Glowacz und die Schwarze Wand. Hoch droben: Auf einer alten Glasertür machen es sich Glowi und Dorf so bequem wie möglich in der Wand

Hoch droben: Auf einer alten Glasertür machen es sich Glowi und Dorf so bequem wie möglich in der Wand © Fotos: Moritz Attenberger, Anton Brey

Wir haben es eigentlich bequem: Mit einem Premium-Okular ausgestattet, vor das wir ein Iphone montiert haben, schauen wir auf den Bildschirm. Glowacz und sein Partner Markus Dorfleitner hocken auf einem improvisierten Lagerplatz in der Wand, eine alte Tür, die Glaser Dorfleitner von einer Baustelle abgestaubt und an Seilen aufgehängt hat. Sie schütteln die Hände, um das Laktat aus den übersäuerten Armmuskeln zu bekommen. Hilft das jetzt wirklich noch? Oder ist das nur ein Motivationstrick? Eigentlich egal, denn die richtig schweren Passagen in einer Route bewältigt ein Kletterer nicht mit Kraft – sondern mit dem Kopf. „Je länger Du an so einem Projekt arbeitest, desto größer wird die Last auf Deinen Schultern“, sagt Peter Albert. Albert ist Bergführer in Garmisch-Partenkirchen und Autor von Kletterbüchern (u.a. „101 Dinge, die ein Kletterer wissen muss“, Bruckmann-Verlag 2017). Er hat im benachbarten Reintal, quasi einmal über die Scharte drüber, jahrelang selbst an einem Routenprojekt gearbeitet, bis er es endlich diesen Sommer im freien Stil durchsteigen konnte, also so, dass Seile und Haken nur zur Sicherung im Sturzfall verwendet werden, aber nicht zum Steigen an sich. „Das wäre schon eine coole Sache, wenn die beiden das Projekt fertigbekommen: eine sensationelle Wand mit einer der schönsten Felsqualitäten hier in der Gegend, abgelegen, engagierter Zustieg – das war schon eine visionäre Tat, hier damals einzusteigen“, sagt Albert.

„Die Schwarze Wand ist für mich schwerer als alle anderen Routen, die ich bisher gemacht habe“

In Hammersbach, ein paar Kilometer südlich von Garmisch, stellt man sein Auto ab, packt Seile, Gurte, Haken, Essen, Wasser und was man sonst noch so braucht in den Rucksack. Dann geht es mit schwerem Gepäck durch die wilde Höllentalklamm, ein atemberaubendes Schluchtenlabyrinth, das der Zugspitzgletscher in Millionen von Jahren in den Kalkstein gefräst hat. Linkerhand gischtet das Gletscherwasser durch die Schlucht, von oben, von links, von rechts tropft den begeisterten Touristen das Wasser auf die Käppis, in die Krägen, auf die Kameras. Dann, wie nach dem Vorspiel einer Symphonie, Paukenwirbel, Trompetenfanfaren, Taraaaaaa: weitet sich das Tal am Höllentalanger. Ein liebliches Hochtal mit breiten Kiesbänken, umkesselt von grimmigen Felswänden. Linkerhand die neue Höllentalangerhütte, ein Prachtstück moderner alpiner Architektur, Sichtbetonwände, Schindeldach, WLAN – und ein ziemlich amtlicher Kaiserschmarrn.

Doch dafür hatten Glowacz und Dorfleitner heute früh um 5 keine Zeit, als sie von hier aus den steilen, schottrigen Steig zum Einstieg in die Wand gestapft sind – seitdem versuchen sie sich an der Schlüsselstelle. Vielleicht ist es ja morgens um 5 trocken? Denn wenn einer im 11. Grad steil überhängend an einem Arm hängt, dann ist wenigstens trockener Fels schon wünschenswert. „Unter dem Höllentalanger ist ein riesiger See. Und die lokalen Windverhältnisse sind völlig willkürlich. Deshalb ist die Wand manchmal trocken, wenn sie eigentlich noch feucht sein müsste. Und manchmal ist sie triefend nass, wo sie eigentlich furztrocken sein müsste, wir sind noch am Ausprobieren“, erklärt Glowacz später beim Rotwein auf der Hütte.

Extrem-Klettern – Stefan Glowacz und die Schwarze Wand. Früher Kletterer fängt den Wurm: Stefan „Glowi“ Glowacz und sein Partner Markus „Dorf“ Dorfleitner (r.)

Früher Kletterer fängt den Wurm: Stefan „Glowi“ Glowacz und sein Partner Markus „Dorf“ Dorfleitner (r.) © Fotos: Moritz Attenberger, Anton Brey

Aber jetzt greift er noch mal an. Dorfleiter sichert ihn von unten, Glowacz zieht sich am Seil bis zu jener Stelle hinauf, an der er eben gescheitert ist. Und gestern. Und neulich. Er schüttelt noch mal die Arme aus, imitiert mit geschlossenen Augen und Mini-Greif-Bewegungen die Züge, die er jetzt zu bewältigen hat. Dann dreht er den Körper nach rechts ein. Greift mit der linken Hand nach rechts, scheint dort einen Halt zu finden, blockiert im 90-Grad-Winkel den Arm, versucht mit rechts weiter nach oben zu greifen, das ist jetzt der eine, entscheidende Zug – und schon wieder rutscht er ab, fliegt ins Seil, zappelt wie eine Fliege im Spinnennetz: wieder gescheitert.

„Des is schon massiv schwer!“, sagt Christian Schlesener, „Du hast maximal mit den Fingerkuppen Halt, auf Leisten, schmaler als ein Eissteckerl.“ „Schlesi“ ist Bergführer aus Berchtesgaden, ein alter Kletterkumpane der Huberbuam und von Glowacz, er ist zusammen mit Nina da, seiner Frau, auch sie Berchtesgadenerin und Bergführerin und Extremkletterin, sie kommentieren das Geschehen. Ein Automobilhersteller, ach, sagen wir’s doch gleich: BMW hat das Event mitorganisiert, Journalisten aus München in Elektroautos hierherfahren lassen, die Firma sponsert Glowacz. Ein paar zusätzliche PS könnten ihm jetzt in der Wand vielleicht helfen. Doch ein Versuch, zwei Versuche, fünf Versuche, immer die gleiche Grifffolge – und immer rutscht Glowacz an derselben Stelle ab, an der „Drecksau“, so nennen er und Glowacz den Griff. Im Duell mit der Schwerkraft bleibt er heute nur zweiter Sieger.

Extrem-Klettern – Stefan Glowacz und die Schwarze Wand. Materialschlacht: Die Haken und Seile dürfen bei der freien Durchsteigung nur zur Sicherung dienen – nicht zur Fortbewegung. Grimmig-steiler Fels über einem lieblichen Hochtal: der Höllentalanger am Fuß der Zugspitze. Auch Kommentator und Kletterfreund Christian „Schlesi“ Schlesener ist angespannt

Materialschlacht: Die Haken und Seile dürfen bei der freien Durchsteigung nur zur Sicherung dienen – nicht zur Fortbewegung // Grimmig-steiler Fels über einem lieblichen Hochtal: der Höllentalanger am Fuß der Zugspitze. // Auch Kommentator und Kletterfreund Christian „Schlesi“ Schlesener ist angespannt © Fotos: Moritz Attenberger, Anton Brey

Vor 15 Jahren haben Glowacz und Dorfleiter angefangen, sich in diese Route zu verbeißen. Schröder war damals noch Bundeskanzler, Lance Armstrong noch Tour de France-Sieger, an den Euro hatte sich noch keiner gewöhnt, im Radio lief der Ketchup-Song. Rechts neben ihrer Tour war damals schon eine Route seit zehn Jahren eingebohrt, sie ist bis heute nicht vollendet. Damals also setzten die beiden die ersten Sicherungshaken, zogen eine Linie nach dem Weg des fallenden Wassertropfens durch die Wand nach oben. Inzwischen kamen Trennungen, Kinder, Expeditionen, aber die Tour ist immer noch nicht frei geklettert. „Erst dann nämlich“, sagt Glowacz, „wenn wir die Tour nur mit dem Seil als Sicherungsmittel durchstiegen haben, dann haben wir sie im freien Stil bewältigt – und dann ist sie für mich erledigt“. Das versuchen die beiden nun seit 15 Jahren.

Lange Zeit war der 6. Grad das Ende des Menschenmöglichen, viele klassische Touren hier im Wetterstein, aber auch in den Dolomiten oder im Wilden Kaiser sind im 6. oder im oberen 6. Grad. Erst mit neuen Materialien, Techniken und mit den künstlichen Kletterwänden, die ein Ganzjahrestraining möglich machten, konnte Reinhard Karl, der erste deutsche Everest-Bezwinger, 1977 die Pumprisse im Wilden Kaiser begehen – die erste Tour im 7. Grad. 1993 erschloss Glowacz gleich nebenan die erste alpine Tour im oberen 10. Grad und taufte sie „Des Kaisers neue Kleider“ – ein Meilenstein in der Klettergeschichte. Die Tour in der Schwarzen Wand hat noch keinen Namen, es ist noch nicht mal klar, ob sie 8 oder 9 Seillängen haben wird, aber eins ist klar: „Sie ist für mich schwerer als alle anderen Routen, die ich bisher gemacht habe“, sagt Glowacz.

Extrem-Klettern – Stefan Glowacz und die Schwarze Wand. An der „Drecksau“: So hat Glowi jene Schlüsselstelle getauft, an der er immer wieder scheitert. Bis jetzt...

An der „Drecksau“: So hat Glowi jene Schlüsselstelle getauft, an der er immer wieder scheitert. Bis jetzt… © Fotos: Moritz Attenberger, Anton Brey

Glowacz hat auf seiner Jacke das BMW-Logo. Er lässt sich mit Sätzen zitieren wie: „Natürlich sind wir Kletterer alle sehr umwelt- und naturbewusst. Gleichzeitig nehmen wir uns das Recht heraus, sehr mobil zu sein. Dank BMW habe ich mit den Hybrid- und Elektroantrieben die Möglichkeit, dies alles unter einen Hut zu bringen.“ Der zuständige BMW-Sprecher wiederum spricht davon, wie wichtig es der Firma sei, authentische Botschafter zu sponsern. In der Kletterszene sehen das nicht alle so. Die einen sind neidisch auf „Glowi“, weil er sich besser vermarkten kann als viele andere. Andere erinnern sich daran, wie er vor wenigen Jahren für eine Naturschutzorganisation öffentlichkeitswirksam für den Erhalt der ursprünglichen Bergwelt demonstrierte. Und sich kurz darauf gerne wieder in seinen Sportwagen setzte, um für einen halben Tag Kletterei an den Gardasee und zurück zu brettern. „Wie glaubwürdig ist es, wenn ausgerechnet der jetzt als BWM-Botschafter für naturfreundliches Autofahren wirbt?“, sagt ein erfahrener Kletterkollege.

„Nicht der Berg ist es, den man bezwingt, sondern das eigene Ich.“

Aber abends auf der Höllentalangerhütte spielen solche Fragen keine Rolle. Es gibt Wein und Knödel, auf der Speisekarte steht ein Zitat von Everest-Erstbesteiger Edmund Hillary: „Nicht der Berg ist es, den man bezwingt, sondern das eigene Ich.“ Für den nächsten Tag ist eine Tour auf die Zugspitze angesagt, Dorfleiter wird ins Tal absteigen und in seiner Glaserei ein paar Rechnungen schreiben. Und übermorgen werden die beiden wieder aufsteigen, durch die Klamm, vorbei an der Hütte, den Steig hinauf, und vielleicht werden die beiden dann endlich die Drecksau überwunden haben – und damit den Berg und das eigene Ich.

Höllentalangerhütte
 
Extrem-Klettern – Stefan Glowacz und die Schwarze Wand
 
Knödel & Wein
 
Die spektakuläre, neu erbaute Höllentalangerhütte auf 1387m ist zum einen Durchgangspunkt für die schönste Tour auf die Zugspitze über das Höllental. Zweitens ist sie ein optisches und kulinarisches Highlight. Und drittens kann man von ihr aus beobachten, wie Stefan Glowacz seine größte alpine Herausforderung zu meistern versucht.
 
Web: www.davplus.de/hoellentalangerhuette
Kategorie ALPENLUST, Bewegung & Sport

Ich bin leidenschaftlicher Skitourengeher (http://101-dinge-skitourengeher.de/), Telemarker und – leider talentfreier – Kletterer. Aufgewachsen in Füssen im Allgäu, lebe ich nach Auslandsaufenthalten (Berlin und noch weiter) mit meiner Patchworkfamilie in Garmisch-Partenkirchen. Für die DAV Sektion Oberland gebe ich Lawinentrainings und Führungstouren (Trainer C Skibergsteigen). Als Coach, Führungskräftetrainer und Vortragsredner habe ich mich auf das positive Führen spezialisiert, das heißt: Ich will mit meiner Arbeit dazu beitragen, dass Menschen erfolgreicher, gesünder und mit mehr Gaudi arbeiten. Besonders gerne, aber nicht immer bringe ich äußere Bewegung und innere Veränderung am Berg zusammen. Ursprünglich bin ich studierter Politikwissenschaftler und gelernter Journalist, ich habe als Reporter, Textchef und Chefredakteur für unterschiedliche Medien gearbeitet. Inzwischen schreibe ich weniger. Und wenn dann über Themen, die entweder mit Bergen oder mit Führung zu tun haben – oder mit beidem.