Familien- und anfängerfreundlich ist das ungewöhnliche Klettergebiet auf über 2000 Metern. Von Weitem sehen die unzähligen Boulderblöcke wie größere Kieselsteine aus. Doch aufgeteilt in 15 Sektoren finden sich in fünf bis 25 Metern Wandhöhe für alle Könnerstufen interessante Routen
Nach steilen Straßenabschnitten, Serpentinen und vielen Kehren später stehen wir oben am Parkplatz unterhalb des Sellajoches in den Dolomiten. Wir sind überrascht von diesem Ort, der so gar nichts mit einem normalen Klettergebiet gemeinsam hat. Landschaftlich kaum zu überbieten, erheben sich im Hintergrund der Steinernen Stadt die majestätisch anmutenden Wände des Langkofels. Darunter erstreckt sich ein schier endloses Steinfeld, bestehend aus unterschiedlich großen Boulderblöcken.
Fragezeichen auf allen Gesichtern. Wo sollen wir hier längere Routen klettern? Haben wir unsere Seile umsonst mitgenommen? Hätten wir die Crashpads einpacken sollen? Auch wenn es hier genug Möglichkeiten gibt, sind wir schließlich nicht zum Bouldern gekommen! Die Erfahrungsberichte aus dem Internet lassen uns jedoch besseres hoffen.
Vorsorglich haben wir daheim ein paar Topos des Klettergebietes ausgedruckt. Aus dem werden wir nur nach und nach schlau. Zuerst laufen wir in die falsche Richtung. Größere Blöcke mit Wandcharakter Fehlanzeige. Die zu groß geratenen Kieselsteine türmen sich zuhauf vor uns auf. Sie sind das Ergebnis eines gewaltigen Felssturzes am Fuße des Langkofels. Unzählige Kletter– und Bouldermöglichkeiten gibt es in diesem Fels-Labyrinth. Zu viele Möglichkeiten und wir wissen nicht genau, wo wir überhaupt sind.
Nach Langem hin und her stehen wir endlich vor einer akzeptablen Felswand. Bis der richtige Felsblock auf der Topo gefunden ist, dauert es eine Weile. Etwas Geduld sollte mitgebracht werden. Hier sind die Dimensionen und Größenordnungen etwas gewöhnungsbedürftig. Ich finde es schwierig abzuschätzen, wie hoch die Felswände sind. Schließlich sind wir Seilkletterer andere Größenverhältnisse gewohnt. Umzingelt von den vielen großen und kleinen Steinhaufen fühle ich mich wie eine winzige Ameise bei uns in der Stadt, mit all ihren Hindernissen …
Die ersten Kletterrouten sind sehr anfängerfreundlich und perfekt zum Warmklettern. Ich freue mich über den griffigen, etwas geneigten Dolomitfels. Diesem eilt mit Recht sein guter Ruf voraus! Im oberen fünften bis sechsten Grad fällt mir der Vorstieg nicht sonderlich schwer. Die Routen sind, anders wie oft bei uns, hervorragend abgesichert. Ohne Angst und ein mulmiges Gefühl im Bauch klettert es sich erstaunlich entspannt.
Nach jedem Durchstieg bleibe ich noch eine Weile oben hängen und genieße dieses fantastische Panorama, sauge es förmlich in mich auf. Diese felsige Bergwelt mit ihren bizarren Felsformationen gehört zurecht dem Unesco-Weltnaturerbe an. Landschaftlich ist das etwas ganz besonderes, das bewahrt werden muss!
Motiviert in dieser wilden Dolomitenlandschaft Klettern zu dürfen, durchsteigen wir alle ohne Probleme die ersten Warm-up-Routen. Wir sind uns einig: Das Klettergebiet und die Natur drumherum sind einfach nur traumhaft!
In der Ferne erhebt sich die gewaltige, vergletscherte Marmolatagruppe, mit dem höchsten Berg der Dolomiten: der namensgebenden „Marmolata“ mit stolzen 3343 Metern. Ihr langer Gratrücken bricht nach Süden in einer geschlossenen, zwei Kilometer breiten und bis zu 800 Meter hohen Steilwand ins Ombrettatal ab. Die auf der Nordseite zum Passo Fedaia vergleichsweise sanft abfallende Flanke trägt den einzigen größeren Gletscher der Dolomiten, den „Ghiacciaio della Marmolada“.
Nach zwei Stunden suchen wir unser chaotisch verteiltes Kletterequipment zusammen und laufen zum nächsten großen Block. Hier könnte man wahrscheinlich Tage füllen und ein regelrechtes Kletterhopping betreiben. Einige aus unserer Gruppe greifen jetzt richtig an. Im achten Grad werden nun verschiedene Routen projektiert und ausprobiert. Das ist mir zu krass. Gut, dass es an meiner Seite auch noch schwächere Kletterer gibt. In der Unterzahl versuchen wir uns vergeblich an einer 7- und müssen etwas frustriert feststellen, dass diese Wand den Profis vorbehalten ist.
Mittlerweile sind wir nicht mehr ganz alleine. Zwei junge Seilschaften packen neben uns die Seile aus. Nach kurzer Zeit feuern die italienischen Kollegen ihre Seilpartner lautstark an. Sie rufen ihnen Tipps für verschiedene Bewegungsabläufe und Griffvariationen zu. Vorbei ist es mit der Ruhe. Doch schlimm finde ich das nicht, im Gegenteil. Schade, dass es bei uns immer so beherrscht zugeht. Ein paar gezielte Anfeuerungsrufe wären ab und zu gar nicht mal so schlecht …
Ich befinde mich gerade in den letzten schweren Zügen im Vorstieg, quasi an der Schlüsselstelle und erschrecke kurz, als ein paar der Italiener auch mich anfeuern. Sehr cool. Ich fühle mich gleich viel stärker! Nach dieser mentalen Unterstützung bin ich nach zwei beherzten Zügen oben. Ein Zitat vom ehemaligen Kletterstar Wolfgang Güllich bringt es auf den Punkt: „Das Gehirn ist der wichtigste Muskel beim Klettern.“
Als ich wieder unten bin, kommen wir schnell mit den temperamentvollen Italienern ins Gespräch und bekommen hilfreiche Infos für den nächsten Besuch in der Steinernen Stadt. Wenn man wie wir die Gegend nicht gut kennt, sind Insidertipps immer sehr wertvoll.
Meine Unterarme sind mittlerweile schon ziemlich gepumpt, weshalb ich mich nach der Sauna und etwas Entspannung sehne! Schließlich steht am morgigen Tag der „Sellaronda Bike Day“ mit 2500 Höhenmetern auf dem Programm. Etwas ausgeruht möchte ich dafür schon sein …
Doch leider sind wir Schwächeren in der Unterzahl und können die Pros trotz versuchter Überredungsstrategie nicht überzeugen. Sie wollen ihr Projekt unbedingt fertig bekommen. Puh, jetzt wirds langsam zäh! Doch eine Lösung für beide Seiten ist schnell gefunden. Da noch etwas Zeit für die Sauna bleibt, wird der eine Teil schwitzend entspannen und der andere Teil sich noch ein Weilchen an sogenannten Kletterproblemen abmühen.
So geht ein perfekter Klettertag in den Dolomiten schnell zu Ende. Kein Wunder bei dem Überangebot an wunderschönen Kletterfelsen und Routen. Die beeindruckende Bergkulisse setzt dem Ganzen das I–Tüpfelchen auf. Bald kommen wir wieder. Mit einer richtigen Karte und mehr Zeit im Gepäck!
Ausrichtung // Südost Felsklettern Ganzer Tag 5 – 25 Meter Wandhöhe
Art // Klettern.
Schwierigkeit // Leicht bis Schwer.
15 Sektoren: 53 Routen bis 6, 75 Routen 6+ bis 8-, 37 Routen: 8 bis 9.
Orientierung // Vom Parkplatz in wenigen Minuten zu den Blöcken bzw. Kletterfelsen. Am besten eine Karte/Topo für das Klettergebiet mitnehmen. Ansonsten wird es ziemlich schwierig, die richtigen Wände zu finden und man ist mehr mit Herumirren als mit Klettern beschäftigt.
Beste Jahreszeit // Mai bis September.
Einkehrmöglichkeit // Salei Hütte/Restaurant am Pass.
Anreise // Mit dem Auto:
Von Klausen nach Gröden und über Wolkenstein auf das Sellajoch. Beim Selljoch Schutzhaus kurz vor der Passhöhe parken. Beim Lift ist das Parken kostenlos!
Parkplatz // Sellajoch Schutzhaus.
Kosten // Am regulären Parkplatz: 7 Euro.
Mit der Bahn:
Mit der Bahn bis nach Waidbruck und dem Bus nach Wolkenstein. Von dort mit dem Bus hinauf zum Sellajoch.
Ausrüstung // Kletterausrüstung, Topo, Helm.
TIPP // Für Urlauber, die gerne mit dem Bike oder Rennrad unterwegs sind, bietet sich der „Sellaronda Bike Day“ an. Dafür gibt es jedes Jahr zwei Termine: 27.06 und 18.09.2021. Eine Anmeldung ist nicht notwendig! Mitfahren kann jeder (auch mit E-Antrieb). Die Straßen sind ganztags von 8:30 Uhr bis 15:30 Uhr für Autos und Motorräder gesperrt. Dadurch lässt sich diese einmalige Umgebung ohne Lärm und Stress erleben.