Nirgends ist das Frühjahr mehr von Kontrasten geprägt als in den Bergen. Im Kaiserbachtal in Tirol erlebt man den Jahreszeitenwechsel mit seiner ganzen Kraft. Die ersten Blumen stibitzen aus der Erde, Insekten schwirren durch die Luft, Knospen und Blätter sprießen … Ein ganz anderes Bild zeigt sich nordseitig. In schattigen Hanglagen ist der Schnee hartnäckig. Vor allem in sonnengeschützten Karen und Rinnen hält sich der Winter wacker. Schaut man von der auf 1.024 Meter Höhe gelegenen Griesner Alm hinauf zum Griesner Kar merkt man schnell, dass die Skitourensaison noch nicht vorbei ist. Der beliebte Kaiser-Klassiker durch das Kar auf die Goinger Scharte (2.085 m) geht je nach Schneelage bis Anfang Juni. Es ist eine landschaftlich großartige Tour mit einigen Variationsmöglichkeiten
Das Kaiserbachtal und der Wilde Kaiser ziehen seit Jahrhunderten uns Menschen in ihren Bann. Das kleine Seitental ist Teil des Naturschutzgebietes Kaisergebirge und im Sommer ein bekannter Ausgangspunkt für zahlreiche Berg- und Klettertouren. Im Winter zieht es vor allem Liebhaber von schattseitigen, mit Pulver gefüllten Rinnen in diese ursprüngliche Landschaft oder aber diejenigen Skitourengeher, welche im Frühjahr den Sound von zischendem Firn favorisieren.
Obwohl im April, Mai und Juni die meisten Tourengeher ihre Ski durch Bergschuhe, Rennrad oder Klettergurt ersetzt haben, finden sich immer noch Hartgesottene, für die der Winter in die Verlängerung geht. Für diese Spezies begrenzen sich die Möglichkeiten auf nun mehr wenige Frühjahrsspots: den allseits bekannten Klassikern.
Da ist es auch nicht verwunderlich, dass der großzügige Parkplatz am Wochenende aus allen Nähten platzt … Wer hier auf einen Geheimtipp hofft, wird leider enttäuscht werden. Das Griesner Kar mit der Goinger Scharte gehört zu den beliebtesten Frühjahrsklassikern. Zurecht!
Eingebettet von einer bizarren Felswelt, bestehend aus mächtig aufragenden Wänden, Türmen, wilden Graten und Zacken, ist das Griesner Kar eine landschaftlich einzigartige Skitourenregion für Fortgeschrittene. Durch einige Kombinationsmöglichkeiten kommen sowohl Höhenmetersammler als auch Fans von Steilrinnen auf ihre Kosten.
Für Experten gibt es mit dem „Schönwetterfensterl“ (2.213 m) die Option, durch eine 45 Grad steile, teilweise sehr schmale Rinne abzufahren. Skifahrerisch eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, die vor allem sichere Verhältnisse voraussetzt! Auch das „Kleine Törl“ westlich des Kleinkaisers hat eine schöne Rinnen zu bieten.
Skitourengeher, die sich an diese Steilheit erst herantasten wollen, empfiehlt sich der Aufstieg auf die heutige „Goinger Scharte“. Zwar müssen hier „nur 35 Grad“ bewältigt werden, jedoch kann vor dem steilen Finale (bis knapp 40 Grad) das Skidepot errichtet werden. Wer kein Problem mit der zunehmenden Steilheit in der immer schmaler werdenden Rinne hat, erlebt oben auf der Scharte ein Panorama, welches nur der Wilde Kaiser zu bieten hat!
Bevor es losgeht, müssen die Ski auf den Rucksack geschnallt werden. Die Zeit des Hochwinters ist vorbei und die Ski müssen je nach Schneelage unterschiedlich lang getragen werden. Doch selbst für unmotivierte Skiträger stellen die 20 bis 30 Minuten Fußmarsch kein Problem da. Die Tragepassage durch den Wald lässt sich auf dem Sommerweg der „Fritz Pflaum Hütte“ entspannt zurücklegen.
Nach dem Holzlagerdepot der Selbstversorgerhütte ist es endlich so weit. Der Schnee ist nun üppig vorhanden und wir können ohne weitere Unterbrechungen in das Kar queren. Bei einem sehr frühen Aufbruch ist es ratsam, Harscheisen dabei zu haben, die einem das Aufsteigen an manch eisigen Stellen deutlich erleichtern. Damit erspart man sich kräftezehrende Ausrutscher, die im steileren Gelände ernste Folgen haben könnten.
Nachdem wir den Wald hinter und gelassen haben, breitet sich das Kar vor uns aus. Die imposanten Felswände ragen neben uns einige Hundert Meter in die Höhe und lassen in mir eine Art Dolomitenfeeling aufkommen. Immer wieder liegen vor uns kleine, aber auch größere Steine im Schnee. Am besten nicht zu nah an den Felswänden aufsteigen oder abfahren, da es immer wieder zu Steinschlag kommen kann.
Nach einer Steilstufe, die bei Vereisung heikel ist, wird das Kar weiter, aber auch flacher. Es gibt keine eindeutige Skitourenspur. Nach Lust und Laune kann hier je nach Steigungswunsch weiter zur Scharte aufgestiegen werden. An einer Gabelung laufen wir rechts in südlicher Richtung hinauf zum Sattel. Links gelangt man zur Fritz Pflaum Hütte. Von dort ist das Schönwetterfensterl nur noch einen Katzensprung entfernt.
Wir steigen direkt in den Sattel unterhalb der Goinger Scharte. Von dort haben wir einen guten Überblick über die verschiedenen Rinnen und Kare. Direkt vor uns versperrt der „Kleinkaiser“ die Sicht zur Hütte. Ich inspiziere die wohlgeformte Wand mit meinen Kletteraugen. Der Fels wirkt kompakt. Und ja! An manchen Stellen blitzen wie zur Bestätigung silberne Haken in der Sonne.
Ich schaue talwärts. Die südseitig ausgerichteten grünen Hänge des Stripsenkopfs und die umliegenden, niedrigeren Berge lassen das baldige Ende der Skitourensaison erahnen. Auch hier sind die Auswirkungen der wärmeren Temperaturen nicht zu übersehen. Der Schnee spannt sich wie ein fleckiges weißes Tuch über die Felsen, die sich langsam aus dem Winterkleid schälen.
Nun steigen wir nach Westen über breite Hänge weiter auf. Von hier lassen sich die zwei Rinnen der Scharte gut einsehen. Das Gelände wird nun immer steiler und verjüngt sich nach oben zunehmend. Bevor sich die Scharte teilt, müssen wir uns entscheiden. Weil die rechte Variante etwas steiler ist und der sulzige Schnee das Aufsteigen eh schon etwas mühsamer gestaltet, wollen wir die zahmere Variante in Angriff nehmen.
Auf den letzten Metern schnallen wir die Ski an den Rucksack. So kommen wir deutlich schneller voran! Oben in der Scharte angekommen, empfängt uns die Sonne und dazu ein wildes Panorama. Unzählige Grate und Spitzen reihen sich in einer schier endlosen Kette aneinander.
Das Kaisergebirge erstreckt sich zwischen Kufstein und St.Johann in Tirol. Insgesamt etwa 20 km in Ost-West-Richtung und etwa 14 km in Nord-Süd-Richtung. Viele dieser exponierten Berge können nur kletternd oder auf anspruchsvollen Steigen erreicht werden. Der höchste Gipfel die „Ellmauer Halt“ (2.344 m) ist ein begehrtes Ziel unter Bergsteigern und kann über den Gamssängersteig (Klettersteig B, 1100 Hm) bestiegen werden.
Der Blick nach unten in die steile Rinne lässt meine Vorfreude wachsen. Mein Kumpel Axel ist ebenfalls sichtlich motiviert, die erkämpften Höhenmeter auf der bevorstehenden Firnabfahrt zu genießen. Ich möchte ihm in Anschluss unbedingt die Fritz Pflaum Hütte zeigen, weshalb wir uns beim Abfahren rechts halten und den Kleinkaiser umrunden.
Die idyllisch gelegene Hütte steht in einer Felsarena, eingerahmt von: Mitterkaser, Lärcheck, Vordere und Hintere Gamsflucht, ihr Nachbar, die Ackerlspitze ist mit 2339 Meter der zweithöchste Gipfel im Kaiser, Regalmspitze und nordöstlich die Goinger Scharte.
Direkt gegenüber der 1912 erbauten Hütte befindet sich ein schöner Klettergarten (rund 30 Routen mit Schwierigkeiten 5-8) sowie einige Übungsfelsen südlich davon. Alle weiteren Kletterrouten im Griesner Kar sind recht alpine Unternehmungen. Wer sich ein paar Tage auf der Fritz-Pflaum-Hütte zum Klettern einquartieren möchte, findet hier eines der ruhigsten Kletterreviere im Wilden Kaiser. Vorab muss man sich beim Hüttenwart anmelden!
Wir legen uns für einen kurzen Powernap auf die Bank in die Sonne. Bis auf die umherfliegenden Dohlen sind wir ganz alleine. Kein Geräusch dringt an unser Ohr. Hier in der Einsamkeit der Bergwelt kann man die Stille noch mehr genießen. Doch allzu lange wollen wir unsere gemütliche Mittagspause nicht ausreizen, schließlich darf der Schnee nicht zu weich werden. Es ist gar nicht so einfach, den perfekten Zeitpunkt für die Firnabfahrt zu erwischen.
Doch das Timing passt! Nach den ersten Schwüngen steht fest: ein wahrer Frühjahrsgenuss. Wir wedeln im zischenden, an manchen Stellen vom Saharastaub braun gefärbten Firn hinab ins Tal. An besonders schönen Stellen entflieht mir ein kurzer Freuden-Juchzer. Anders als im Sommer ist der Abstieg mit Skiern an den Füßen schnell gemacht.
Schneller als uns lieb ist, erreichen wir den Waldrand. Ich finde zwischen den Bäumen eine schmale, schneebedeckte Schneise, in der wir noch locker 50 Höhenmeter abfahren können. Doch jetzt heißt´s endgültig abschnallen und noch kurz die Ski tragen, bevor wir uns ein kühles Weizen an der Griesner Alm gönnen.
Ausrichtung // Nord/Ost Skitour
3-4 Stunden 1.100 Höhenmeter, 4,5 Kilometer
Art // Skitour.
Schwierigkeit // Mittel bis Hoch.
Lawinengefahr: Hoch! Reine Frühjahrstour, verbunden mit einem zeitigem Aufbruch.
Orientierung // Vom Parkplatz des Gasthofs Griesner Alm folgen wir dem Fahrweg für ca. 15 Minuten, bevor es auf dem Sommerweg der Fritz Pflaum Hütte durch den Wald bis zum Holzdepot geht. Anschließend der Skitourenspur ins Griesner Kar hinein folgen. Über eine steilere Stufe und danach im breiten Kar rechts haltend bis zum Sattel. Von dort immer steiler aufsteigend, in eine der beiden Rinnen zur Goinger Scharte.
Beste Jahreszeit // April bis Juni.
Einkehrmöglichkeit // Griesner Alm (1.600 m).
Anreise // Über die Inntalautobahn bis zur Ausfahrt Oberaudorf / Niederndorf. Über die Innbrücke nach Niederndorf und weiter nach Kössen. Beim Kreisverkehr rechts Richtung St. Johann i. T. bis Griesenau. Hier nach rechts über die Mautstraße (PKW 4 Euro) hinein ins Kaiserbachtal. (Straße meist ab Mitte April geöffnet.)
Parkplatz // Gasthaus Griesener Alm.
Kosten // –
Mit den Öffentlichen: –
Ausrüstung // Skitourenausrüstung, LVS-Equipment.
TIPP // Wenn man früh genug dran ist und nach der Goinger Scharte die Motivation hat, ein paar Höhenmeter dranzuhängen, empfiehlt sich der Aufstieg aufs Kleine Törl. Dazu fährt man das steile Kar der Goinger Scharte hinab bis zum Sattel. Danach quert man unterhalb der Felswände die steilen Hänge und erreicht mit einigen Spitzkehren im sehr steilen Gelände (über 40°) das Kleine Törl. Nur bei sicheren Lawinenverhältnissen begehen!