Nicht weit von der Alpenhauptstadt Innsbruck entfernt, versprechen weiße Gipfel und wilde Bergformationen alpines Flair, alles erreichbar durch ein gut ausgebautes Wegenetz. Entlang der Kühtaistrasse, welche hinauf zum Kühtaisattel (2017 m) führt, gibt es unzählige Startpunkte zu urigen Hütten und fantastischen Gipfeln. Ein Eldorado für Bergliebhaber mit Ambitionen
Umgeben von majestätischen Bergen, dichten (Zirben)-Wäldern und klaren Gebirgsbächen befindet sich Praxmar, ein kleines Bergsteigerdörfchen über dem Sellraintal. Vor allem im Winter sehr beliebt bei Skitourengehern, ist dieses Dorf ebenfalls der perfekte Ausgangspunkt für verschiedene Sommeraktivitäten.
Steige, Wege und Kletterrouten laden neugierige Bergfexe zum Wandern, Klettern oder Mountainbiken ein. Die Lamsenspitze, unser heutiges Ziel, kenne ich bis jetzt nur im weißen Wintergewand. Im Winter am Wochenende hat man bereits um 9 Uhr morgens keine Chance mehr auf einen Parkplatz. Der Run auf die beliebten Skitourenklassiker Lampsenspitze und Zischgeles ist enorm. Sogar Münchner nehmen die weite Anfahrt von 2,5 Stunden auf sich, um dort den perfekten Skitourentag verbringen zu können.
Kontrastprogramm gefällig? Zur Sommerzeit ist hier wenig los, mitunter sogar einsam! Auch wenn das für viele Sellrain- und Kühtai–Wintersportler unglaubwürdig klingt. Da es unzählige, lohnende Gipfelziele gibt und man als Bergsteiger, anders als im Winter, mit der Tourenauswahl nicht eingeschränkt ist, steht einem ruhigen Tag nichts mehr im Weg.
Der Juli zeigte sich bis jetzt von seiner unbeständigen und gewittrigen Seite. Die heutige Tour und alles oberhalb der Baumgrenze ist bei Gewittern besonders gefährlich. Deshalb muss dem Wetter im Hochgebirge noch etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Was allerdings auf keinen Fall heißen soll, dass man bei uns in den Vorbergen ohne Wetterbericht starten soll. Traurig, aber leider wahr: Auch bei uns werden jedes Jahr Bergsteiger vom Blitz erschlagen …
Heute ist es sommerlich warm und es soll beständig bleiben. Hier auf 1700 Metern Höhe weht eine angenehme Brise, die anders als im Tal, keine schwüle Luft, sondern eine erfrischende Bergluft mit sich bringt. Superangenehm das Bergklima in einer gewissen Höhe!
Ich starte am Alpengasthof Praxmar, auf dessen Sonnenterrasse nach der Tour ein alkoholfreies Weißbier auf mich wartet. Vom Parkplatz aus laufe ich auf dem breiten Wanderweg Richtung Westen zur ersten Weggabelung. Dort steht auf dem gelben Schild mein heutiges Ziel: die Lampsenspitze (Weg Nr. 144).
Über eine schöne Wiese gelangen wir zum zauberhaft wirkenden Zirbenwald. Diese knorrigen, wurzeligen und verwachsenen Bäume sind von Flechten bewachsen und umgeben von einem würzigen Geruch. Die teilweise sehr dicken Stämme lassen ein hohes Alter vermuten. Der Pfad schlängelt sich über endlose, federnde Wurzelteppiche, die mit einer Schicht Nadeln bedeckt sind. Einige male quert der Pfad die Forstrasse, die im Winter als Rodelbahn angepriesen wird. Steil gehts die letzten Meter durch den Wald hinauf zum Zirmkogel (2037 m). Dort steht ein hölzernes Kreuz mit einer integrierten Bank zum durchschnaufen.
Auf einem Geländerücken, bestehend aus dunkler Erde, Heidegewächsen und Alprosen, gelangen wir zur idyllisch gelegenen „Kogelhütte“. Diese kleine Holzhütte besticht durch ihren urigen Charme. Der Besitzer hat sie mit allerlei Krimskrams behängt, da gibts in der Tat einiges zu entdecken … Nebenan sprudelt aus zwei geschnitzten Brunnen kaltes Quellwasser – in feinster Trinkwasserqualität. Perfekt, um die Flaschen für die nächsten Stunden noch einmal aufzufüllen.
Ich genieße die baumfreie Hochgebirgslandschaft um mich herum und die Sonnenstrahlen, die mich ab jetzt begleiten werden. Oberhalb der Hütte biege ich an einem roten Schild rechts Richtung „Bergersee“ ab. Immer wieder wundere ich mich über die vielen Pferdeäpfel, die neben und auf dem Weg liegen. Esel oder Pferde so weit oben? Zwei Kurven später wird das Rätsel gelüftet.
Eine große Pferdeherde mit Haflingern und zotteligen Ponys grast mitten in der Gebirgslandschaft. Ohne Zaun können sie den Traum der Wildpferde leben. Freiheit pur. Ich wundere mich über diesen ungewöhnlichen Anblick der Vierbeiner in diesem bergigen Terrain. Normalerweise erwartet man ja eher Kühe oder Schafe, aber Pferde?!
Fünf Minuten später stehe im idyllisch gelegenen See und suche mir ein schönes Plätzchen, um die Ruhe dieser friedlichen Oase in mich aufsaugen zu können. Ein wunderschöner Kraft– und Meditationsort. Für einen entspannten Lesetag wie geschaffen. Obwohl es nur ein kleiner Bergsee ist, lädt er bei heißen Temperaturen zu einem Badeausflug ein. Meine Waden freuen sich jedenfalls sehr über die willkommene Abkühlung.
Nach einer kleinen Jause suche ich kurz den Pfad, der sich für ein paar Meter im grasigen Gelände verliert, bevor er wieder deutlicher wird. Er führt querend über Wiesen, bis er in den breiteren Wanderweg vom unteren Schönbichl einmündet. Ab hier verlasse ich die grüne Heidelandschaft und betrete steiniges, raues und alpines Gelände. Der Weg ist super markiert. So ist die Orientierung auch bei aufziehendem Nebel oder Schlechtwetter zu meistern.
Ansteigend gehts flott die Geländestufen hinauf, vorbei an vielen neugierigen Bergschafen. Als ich kurz stehen bleibe, um die Tiere zu beobachten, läuft mir das mutigste der Schafherde entgegen und kurze Zeit später folgen weitere Artgenossen. Interessiert beschnuppern sie meine Stöcke, schnuppern an meinen Händen, begutachten mich mit ihren gutmütigen Augen. Ein besonderer Augenblick, in denen man Tieren so nah ist. Ich hole schnell meine Kamera hervor und halte diesen Moment mit ein paar Fotos fest.
Der markierte Weg schlängelt sich abwechselnd steil über grobe Steine und Schotter bis zum Satteljoch auf 2735 Metern. Ich verschaffe mir einen Überblick. Ein Blick nach oben verrät, der Gipfel ist nicht mehr weit entfernt und zum Greifen nah! Ich schaue hinüber zur gegenüberliegenden Gebirgskette. Hier am aussichtsreichen Joch offenbart sich die ganze Pracht dieser alpinen Hochgebirgslandschaft.
Am Ende des langen Tales von St. Sigmund kommend, ragt ein weisser Riese empor. Der imposante Gleirscher Fernerkogel gehört mit seinen knapp 3200 Metern zu den höheren, vergletscherten Gipfeln der Stubaier Alpen. Sein Gletscher ist bei Hochtourengehern bekannt. Leider ist er wie seine Leidensgenossen vom gravierenden Rückgang des Eises betroffen. Das „Ewige Eis“ ist mittlerweile nicht mehr so ewig, wie wir uns das gerne wünschen würden.
Der ideale Stützpunkt für diesen Gipfel und andere zahlreiche lohnende Bergtouren in diesem sehr langen Tal ist die Schweinfurter Hütte. Ein herzliches Hüttenteam versorgt mit Leidenschaft ihre Gäste mit feinen Tiroler Spezialitäten. Wenn man die warme Stube der Hütte früh morgens verlassen hat, erlebt man in der Regel einen einsamen Tag und kann sich voll und ganz auf diese traumhafte Landschaft konzentrieren.
Dem Gipfelsturm steht nun nichts mehr im Weg, denn die letzten Höhenmeter sind schnell gemacht. Unschwierig gehts nach dem Skidepot auf dem breiten Südrücken in moderater Steilheit hinauf. Auch wenn nur ein paar Meter zur magischen Zahl eines 3000er fehlen, die Luft wird hier schon merklich dünner. Für mich ist die fehlende „3“ übrigens kein Argument, diesen tollen Aussichtsberg links liegen zu lassen.
Am Gipfelkreuz der Lampsenspitze auf 2876 Metern ist die Aussicht noch um ein vielfaches schöner als unten am Joch. Das 360-Grad-Panorama hat es in sich. Es beeindruckt mit seinen wilden Felsformationen: spitze Zacken, schmale Grate, Schnee, Fels und Eis, soweit das Auge reicht. Eine regelrechte Felsenfestung. Ich suche mir etwas unterhalb des Gipfels ein weiches Wiesenplätzchen. Halb liegend und auf Gras gebettet genieße ich entspannt das Hochgebirge auf fast dreitausend Metern.
Nach einer lagen Gipfelrast und einer ausgiebigen Gipfeljause verabschiede ich mich von diesem bequemen Aussichtsspot und trete den Rückweg an. Auch wenn keine Gewitter angesagt sind, werden die Quellwolken immer größer. In ein Unwetter möchte ich auf dieser Höhe nicht geraten! Ich packe meine Stecken weg und laufe den Aufstiegsweg mit ordentlich Speed hinunter. Als ich an den Schafen vorbeikomme, stoppe ich kurz und verabschiede mich bei diesen gutmütigen Tieren. Wir werden uns bestimmt bald wieder sehen.
Unten am Praxmarer Hof angekommen, ist nur noch ein kleiner Fetzen blauer Himmel zu sehen. Ein paar letzte Sonnenstrahlen kämpfen sich durch die dichte Wolkendecke und fallen auf die kleine Haflingerherde, die auch hier frei grasen darf. Ich fange diesen schönen Moment mit einem Foto ein und laufe hinüber zur Sonnenterrasse, wo eine leckere Pfannkuchensuppe und ein Weißbier auf mich warten.
Ausrichtung // Ost Bergtour 4–5 Stunden 1200 Höhenmeter, 10 Kilometer
Art // Bergtour.
Schwierigkeit // Mittel. Bei dieser Tour bewegt man sich im Hochgebirge! Wetterbericht beachten.
Orientierung // Vom Parkplatz Praxmar folgen wir dem breiten Weg kurz bis zum gelben Schild Lampsenspitze. Von dort rechts haltend über eine Wiese und durch Zirbenwald hinauf zum Zirmkogel und weiter zur Kogelhütte. Hier rechts haltend hinauf zum Bergsee. Von dort links bis der Weg vom Schönbichl erreicht wird. Auf diesem weiter ansteigend über alpines Terrain und Geländestufen zum Satteljoch auf 2745 Meter. Das Gipfelkreuz erscheint von hier sehr nah. Zum Skidepot und auf dem Südrücken zum Gipfel. Abstieg wie Aufstieg oder hinunter nach St. Sigmund (Überschreitung).
Beste Jahreszeit // Ende Juni bis September.
Einkehrmöglichkeit // Alpengasthof Praxmar (1700 m).
Anreise // Mit dem Auto:
A95 München-Garmisch, Mittenwald, Scharnitz, Zirl, Sellrain, Gries und hier links abbiegen Richtung Lüsens. Über Serpentinen bis zur Weggabelung Lüsens/Praxmar. Hier rechts nach Praxmar zum gebührenpflichtigen Parkplatz.
Parkplatz // Praxmar Parkplatz.
Kosten // 5 Euro.
Mit den Öffentlichen:
Währende der Sommermonate (Mitte Juli bis Mitte September) fährt der Postbus Praxmar von Innsbruck aus (Ansonsten nur bis Sellrain).
Ausrüstung // Wanderausrüstung
TIPP // Sehr lohnend ist auch die Überschreitung der Lampsenspitze mit dem Startpunkt in St. Sigmund oder umgekehrt. Für den Rückweg kann ein Taxi gerufen werden. Gäste des Gasthofes Praxmar können vorab einen Rücktransport buchen. Dann muss man sich um den Rückweg keinen Kopf machen …