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Felix Neureuther: „Es ist eher zehn nach 
als zehn vor Zwölf“

Interview Felix Neureuther Rettung für die Alpen

Felix Neureuther engagiert sich für die Rettung der Alpen. © Foto: Bernd Ritschel

Jahrelang reiste er als Spitzensportler kreuz und quer durch den Alpenraum. Für die National Geographic Dokumentation „Rettung für die Alpen“ war Felix Neureuther wieder unterwegs. Ein Gespräch über Klimawandel und Nachhaltigkeit.

ALPS: Felix, schon als Deutschlands bester Skirennläufer warst du dauernd in den Bergen unterwegs. Wann hast du gemerkt, dass Nachhaltigkeit für dich persönlich ein Thema wird?
Felix Neureuther: Wenn du so viel erlebst und so viel unterwegs bist, siehst du die Veränderungen am Berg. Jeder, der sagt, dass der Klimawandel noch nicht da ist, hat Tomaten auf den Augen.

Gab es einen besonderen Aha-Moment?
Ich war ja jedes Jahr auf den Gletschern und von Jahr zu Jahr hast du deutlich gesehen, was da passiert. Egal ob das am Hintertuxer Gletscher war, am Saas Fee, in Zermatt, Sölden oder bei uns auf der Zugspitze – du siehst das Leid der Gletscher und der Berge. Das schärft natürlich das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Umwelt. Deswegen finde ich es auch so wichtig, dass vor allem die Kinder in die Natur rausgehen und ein Bewusstsein für die Natur erlernen. Weil wenn sie nicht in den Bergen und der Natur sind, wie sollen sie dann lernen wie die Natur funktioniert?

Wie macht ihr das bei Euren Kindern? Die sind ja wahrscheinlich viel draußen in den Bergen.
Ja, definitiv. Wir wollen unseren Kindern schon beibringen, dass die Natur etwas Schützenswertes ist. Unsere Tochter wird jetzt vier und wenn sie einen Zigarettenstummel auf der Straße liegen sieht, dann regt die sich so was von auf. Das ist teilweise schon ein bisschen peinlich, wenn da gerade jemand auf der Bank sitzt, Pause macht und eine raucht und sie geht hin „Rauchen ist doof, das macht man gar nicht!“.
Aber da sieht man, auch wenn die Kinder noch so klein sind, was für ein Bewusstsein sie bereits für die Natur entwickeln – wenn man ihnen die richtigen Dinge sagt und vorlebt, kann man da schon viel bewirken.

Für Film und Buch hast du verschiedene Experten und Wissenschaftler getroffen – spannend oder?
Dieses Projekt ist für mich zur Herzensangelegenheit geworden. Ich habe so viel gelernt. Jedes Mal, wenn ich nach einem Gespräch nach Hause kam, hat mich das Thema für ein paar Tage nicht losgelassen. Oft habe ich mich mit dem Fotografen für das Buch, dem Bernd, noch per Telefon ausgetauscht.

Interview Felix Neureuther

Felix Neureuther war als National-Geographic-Botschafter auf einer Recherchereise durch die Alpen unterwegs. © Foto: Bernd Ritschel

Was hat dich am meisten beeindruckt?
Es gab wahnsinnig viele spannende Aspekte. Aber dass im Wallis nach Ersatzbäumen für Kiefer und Tanne gesucht wird, weil man fürchtet, dass durch die Klimaerwärmung die Kiefern aussterben, wodurch die Gefahr dramatischer Lawinenabgänge viel größer würde … das hat mich wirklich geschockt. Da habe ich mir nur gedacht „alter Schwede, die Klimaerwärmung ist einfach da!“. Oder, das Thema mit den Mispeln. Die bilden sich in den Baumkronen und die entziehen dem Baum Wasser, so dass der noch weniger Überlebenschancen hat. In einem Versuch haben sie 1000 Bäume zusätzlich bewässert, 1000 Bäume nicht. Und dann stehst Du da und siehst diesen Cut, du kommst dir wirklich vor wie im Krieg: auf der einen Seite hat eine Bombe eingeschlagen und auf der anderen Seite ist alles grün. Das war schon sehr imposant.

Gibt es auch etwas, das dich positiv überrascht hat? Das dir Hoffnung macht?
Egal, mit wem ich gesprochen habe: Jeder sagt dir, es muss sich etwas ändern. Und es gibt auch gute Lösungsansätze. Aber es müssen halt – vom Einzelnen bis zum großen Ganzen – alle mitspielen, nur dann kann es funktionieren. Und wir müssen sofort handeln, denn es ist eher zehn nach als zehn vor zwölf.

Was wäre aus deiner Sicht am dringendsten?
Wir müssen den CO2-Ausstoß zurückfahren. Das ist das wirklich Entscheidende. Da muss man alles daran setzen und sehr schnell handeln. Dann können wir und die nächsten Generationen noch viele Jahrhunderte auf diesem Planeten leben.

Welche Rolle spielen dabei die Alpen?
Die Alpen wecken große Emotionen und schärfen das Bewusstsein. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass Menschen, wenn sie in den Bergen unterwegs sind, ein anderes Bewusstsein für die Natur bekommen.

Aber das ist ja auch die Crux: Einerseits sollen sich die Menschen für die Berge begeistern, andererseits stellt der Tourismus ein Problem dar.
Wenn es schön ist, kommen bei uns am Eibsee jeden Tag Tausende von Menschen, das ist so eine Art Ballermann-Tourismus. Das geht natürlich nicht … Aber wenn jemand hergeht und sagt: Wir fahren in die Berge und wir verlassen sie genauso, wie wir sie vorgefunden haben oder sogar noch ein bisschen besser, weil wir den Müll eingesammelt haben, der da herumlag – dann ist das ein guter Ansatz und völlig in Ordnung.

Stichwort CO2-Ausstoß – warst du schon mal mit öffentlichen Verkehrsmitteln am Berg?
Klar! Man muss halt ein bisschen organisieren vorher, dann geht das ganz easy.

Das wäre ja eigentlich etwas, das jeder machen könnte, oder? Das Auto einfach stehen lassen.
Genau: So simpel ist es. Bei uns in Garmisch ist die Autobahn zu Ende; jeden Tag stehen da unzählige Leute im Stau. Wie kann man sich stundenlang in den Stau stellen, ohne darüber nachzudenken, ob das überhaupt sinnvoll ist? Man darf nicht mehr den einfachen Weg von früher wählen, sondern muss sich ein paar zusätzliche Gedanken machen.

Gilt das auch fürs Skifahren? Die Saison steht ja quasi vor der Tür.
Klar. Du musst ja nicht dahin gehen, wo die Masse hingeht. Es gibt schon noch Gebiete, wo es stimmt. Gerade für die Kinder ist es wichtig, dass sie Skifahren lernen, nicht nur, um den Schnee zu spüren und die Geschwindigkeit. Kinder lernen dabei so viel mehr: Dass du wieder aufstehst, wenn du hinfällst und einfach weitermachst. Das ist so wichtig.

Wäre das dein Tipp für nachhaltigeres Skifahren: lieber
kleinere Skigebiete auswählen?

Ja, genau! Ich glaube, man kann immer noch guten Gewissens Ski fahren. Wer nach Mallorca in den Urlaub fliegt, hinterlässt einen wesentlich größeren CO2-Fußabdruck als jemand, der in die Berge zum Skifahren fährt. Das muss man auch etwas relativieren.

In dem Buch, das zusammen mit der Doku erscheint, werden auch alte Familienerbstücke gezeigt: Skizzen von Gletschern, die Deine Vorfahren gezeichnet haben. War das bei Euch in der Familie ein großes Thema?
Ja total! Es geht ja eben um meine, um unsere Vorfahren, wie sie die Gletscher vermessen haben und auch, was das überhaupt für coole Typen waren! Muss man einfach so sagen. Und jetzt kann ich selbst auf diese Arbeit zurückgreifen und vielleicht auch einen Teil dazu beitragen, dass den Menschen klar wird: was ist das bitte für eine Entwicklung?

Das Buch hat ja den Titel „Unsere Berge – Lieblingsorte in den Alpen“ – was ist denn Dein ganz persönlicher Lieblingsort in den Alpen?
Das werde ich jetzt nicht verraten – sonst ist da morgen ja jeder!

UNSERE ALPEN / Ein einzigartiges Paradies und wie wir es erhalten können

FELIX NEUREUTHER, MICHAEL RUHLAND, BERND RITSCHEL

Interview Felix Neureuther

Zur TV-Dokumentation gibt es auch einen umfassenden Bildband. Felix Neureuther führt darin nicht nur zu seinen Lieblingsorten im Alpenbogen, sondern gibt auch emotionale Einblicke in die schützenswerte Tier- und Pflanzenwelt.

Erscheint am 08.10.2021
192 Seiten
ca. 220 Abbildungen
Format 26,8 x 28,9 cm
Hardcover

National Geographic Verlag, 39,99 Euro