Hans Kammerlander über die schwierige Rolle der Frauen im Alpinismus
WENN ICH MIT LEUTEN AM BERG UNTERWEGS BIN, fällt mir immer wieder auf, dass Frauen einen anderen Blick für die Schönheit der Natur haben. Sie beobachten besser. Sie verlieren sich in einem Augenblick. Sie sehen Details, an denen Männer vorbeigehen, weil die darauf fokussiert sind, wie lange sie für eine Tour brauchen. Eine Frau am Berg ist heute eine Selbstverständlichkeit. Das war nicht immer so.
Ob Klettern auf höchstem Niveau oder Extremalpinismus: Frauen haben es viele Jahre lang ungleich härter gehabt als Männer. Als die schottische Topathletin Alison Hargreaves in die Expeditionswelt einstieg, war sie bereits Mutter von zwei kleinen Kindern und mit einem erstaunlichen Tourenbuch ausgestattet. 1995 bestieg sie den Mount Everest als erste Frau ohne zusätzlichen Sauerstoff über die Nordseite. Dafür wurde sie kritisiert, weil Mütter nichts am Berg zu suchen hätten. Welcher männliche Höhenbergsteiger hat sich je dafür rechtfertigen müssen, eine Familie zu haben?
Alpinismus ist nichts für Frauen, so die unterschwellige Haltung. Dabei sind gerade sie für Klettern auf hohem Niveau besonders geeignet. Weniger Kraft gleichen sie mit Beweglichkeit und Geschick aus. Im Kletterbereich sind die Frauen längst in der Weltspitze angekommen. Und manchmal sind sie den Männern voraus. Die Amerikanerin Lynn Hill hat 1993 Jahren im Yosemite Nationalpark am El Capitan die von Männern so oft vergeblich versuchte Begehung der so genannten The Nose geschafft. Sie war gesichert, verwendete keine Haken und keine Sicherungspunkte als Fortbewegungsmittel, kletterte die Route also frei. Das war astrein. Die besten Kletterer sind vor ihr daran gescheitert – und ganz nebenbei: Erst über zehn Jahre später konnte ein Mann die Route wiederholen.
Wurde Lynn für dieses Husarenstück bewundert? Ja, aber nicht von allen. Weil sie sich mit ihren 1,57 Metern Körpergröße und kleinen Fingern in einem Felsriss, an dem Männer zuvor gescheitert waren, wie eine Katze nach oben arbeiten konnte. Das sei unfair, hieß es. Diese Reaktion war sowas von daneben. Wenn Frauen beim Klettern in einem Überhang wegen ihrer Größe nicht weiterkommen, hat sich noch kein Mann über Ungerechtigkeit beschwert.
Die Leistungen von Ines Papert, die in der ganzen Welt schwierige alpine Erstbegehungen absolviert hat, bewundere ich. Sie geht als Kletterin und Alpinbergsteigerin ihren ganz eigenen Weg. Genau wie Gerlinde Kaltenbrunner. Sich nicht auf Diskussionen einzulassen und Kritik abprallen zu lassen – das hat sie immer gekonnt. Die Österreicherin hat als erste Frau alle Achttausender ohne Sauerstoff bestiegen und blickt auf eine Karriere zurück wie wenige Männer vor ihr. Dass Alpingrößen versucht haben, Leistungen wie die von Hargreaves oder Kaltenbrunner kleinzureden, hat mich immer gestört. Wer selbst gut ist, kann auch andere bewundern. Leider gilt im Alpinismus oft das Gegenteil. Schon einem anderen Mann gönnt man die Leistung nicht. Und einer Frau noch weniger. Gerade im Expeditionsbergsteigen sind die Errungenschaften von Frauen nicht hoch genug einzuschätzen. Ein Mann tut sich leichter, den schweren Rucksack zu tragen. Solche körperlichen Nachteile werden immer bleiben. Aber es gibt auch einen Vorteil. Wenn einer Frau heute eine schwierige Tour gelingt, ist das oft noch eine Meldung wert.
Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.
Web: www.kammerlander.com