„Love To Love You Baby“, „What A Feeling“, „Un’Estate Italiana“: Starproduzent Giorgio Moroder hat Songs geschaffen, die jeder kennt. ALPS traf den 76-Jährigen in seiner Villa in St. Ulrich (ALPS Magazine #4/2016 Review)
Eine James-Bond-Villa aus den 70ern – würde das nicht zum „Godfather of Disco“ passen? In Los Angeles vielleicht, aber in seinem Heimatort St. Ulrich wohnt Giorgio Moroder in einem Haus im alpenländischen Stil, das sich auf den ersten Blick nicht von den anderen Häusern im 4700-Seelen-Bergdorf am Fuße der Dolomiten unterscheidet. Hier also, wo der Schnee im Winter manche Bausünde gnädig versteckt, ist der Erfinder der elektronischen Tanzmusik und mehrfache Oscarpreisträger aufgewachsen. Seine Frau Francisca öffnet die Tür und führt uns an einer Wand mit Dutzenden Goldenen Schallplatten vorbei die Treppe hinauf. Dort sitzt der 76-Jährige auf einer dunkelgrünen Samtcouch, ein Laptop auf dem Schoß, eine Tasse Kaffee in der Hand. Jetzt passt alles ins Bild. Der lindgrüne Teppichboden, der weiße Flügel, die großen, abstrakten Bilder, der Kamin, sogar die in einem Eck eingebaute Stube im Tiroler Stil. Ein bisschen 007, ein bisschen Folklore und mittendrin Giorgio Moroder mit bunt geringelten Socken. What a Feeling!
ALPS: Dieser Tage sind Sie omnipräsent in St. Ulrich. Der Bürgermeister hat sogar Ihr Antlitz in eine Wiese mähen lassen.
GIORGIO MORODER: (lacht). Ja, das habe ich gesehen.
ALPS: Was für ein Rummel: Ein Weltstar zurück an seinen Wurzeln in Südtirol. Wie fühlt sich das an?
MORODER: Ach, eigentlich ist es gar nicht so besonders. Ich komme ja zwei, drei Mal im Jahr her, wenn es nicht zu kalt ist, sogar im Winter. Es ist also gar nicht so, dass ich jahrelang weg war. Ich habe mit meinen Geschwistern guten Kontakt und weiß auch einigermaßen Bescheid, was in Gröden passiert.
ALPS: Heimzukehren, was ist das dann? Urlaub?
MORODER: Ja, meistens schon. Jetzt bleibe ich zwei Wochen und arbeite auch ein bisschen.
ALPS: Und wenn Sie nicht arbeiten?
MORODER: Gehen wir ein bisschen wandern, fahren auf die Seiser Alm, sind einfach gemütlich daheim. Ab und zu treffe ich Freunde von früher. Wenn wir uns sehen, ist es so, als ob ich nie weggewesen wäre.
ALPS: Wie war das denn damals?
MORODER: Meine Eltern haben eine Pension geführt. Mein Vater hat auch noch als Hotelportier gearbeitet. Wir waren nicht reich, aber auch nicht arm. Die ersten Jahre nach dem Krieg waren nicht leicht, aber dann ging es. In den Bergen gibt es zum Glück auch in harten Zeiten immer Bauern, von denen man Eier, Butter, Kartoffeln bekommt.
ALPS: Denken sie oft daran zurück?
MORODER: Kaum. Na ja, wenn ich Freunde treffe, dann reden wir manchmal darüber. Ich lebe aber lieber im Hier und Jetzt. Und in der Zukunft.
ALPS: Ihre Jugend auf dem Dorf – hat das Ihre Karriere beeinflusst?
MORODER: Musikalisch überhaupt nicht. Ich habe damals vor allem Radio Luxemburg und Radio London gehört, also englische oder amerikanische Songs. Jodler waren nicht meine Lieblingsmusik.
ALPS: Sind Sie deshalb aufgefallen im Dorf?
MORODER: Mit der Musik natürlich.
ALPS: Gleich nach der Schule sind Sie fortgegangen. Wie waren die Reaktionen damals?
MORODER: In den ersten Jahren hat das alles niemanden interessiert. Ich war jahrelang in Europa unterwegs, habe in Berlin gearbeitet. Erst als ich nach München gegangen bin und dort meine ersten größeren Erfolge hatte, wurde ich auch im Dorf bekannter.
ALPS: Und Sie? Hatten Sie Heimweh?
MORODER: Ich war ja sehr jung, als ich von Gröden fort bin. Heute würde ich sagen, ich bin zu oft und zu lange weg gewesen, als dass ich hätte Heimweh bekommen können. Aber mir hat das Internationale auch immer gefallen. Ich habe die Knödel nicht vermisst, weil mir Sushi auch gleich geschmeckt hat. Einen Kaiserschmarrn zu essen, das spare ich mir für hier auf. Das brauche ich in LA wirklich nicht.
ALPS: Deutsch, Italienisch, Ladinisch, Englisch. In welcher Sprache fühlen Sie sich am wohlsten?
MORODER: Wenn es um technische Sachen aus der Musik geht, dann bin ich Englisch ganz einfach mehr gewöhnt. Aber ansonsten habe ich keine Vorliebe.
ALPS: Und in welcher Sprache träumen Sie?
MORODER: Ganz unterschiedlich, eben gerade auf Deutsch. Wenn der Traum mit einer Person zu tun hat, die Englisch spricht, dann träume ich auf Englisch.
ALPS: Denken Sie immer in Musik?
MORODER: Das würde ja heißen, dass ich nonstop arbeite. Nein, da würde ich verrückt werden. Die Musik, die ich machen möchte oder werde, halte ich aus meinem Alltag raus. Selbst wenn mir gerade jetzt etwas Gutes einfiele, würde ich es wahrscheinlich doch nicht aufschreiben. Ich arbeite lieber, wenn ich arbeiten muss. Und das tue ich nur im Studio.
ALPS: Was hört Giorgio Moroder privat?
MORODER: Ich habe jahrelang immer ein bisschen Radio gehört, aber nie CDs gekauft. Aber als ich jetzt wieder in die Popmusik eingestieg, habe ich die Charts rauf und runter gehört. Ich musste ja wissen, was gerade läuft.
ALPS: Und die klingen die Alpen?
MORODER: Ich höre, das ist ein Alpenthema. Wenn man auf den Berg geht, dann hört man bestimmte Sounds, Geräusche, die eigentlich interessant wären. Zum Beispiel der Wind oder der Hall – also wie ein Klang von der Natur ausgeht und wieder zurück kommt. Der Wind ist manchmal leise, manchmal laut. Donner gibt es überall, aber in den Bergen ist er anders. Hier kann der Sound des Donners unglaublich sein. Ich habe einmal ein Lied komponiert für „Die unendliche Geschichte“. Da gibt es die Szene, wo der Junge mit dem Drachen fliegt. Dafür wollte ich den Sound haben, den man auf einem Berg hört. Aber das kann man nicht hier aufnehmen, das muss man kreieren. Ich habe es dann im Studio „gebaut“.
ALPS: Nach Ihre Auftritten in Südtirol geht es weiter nach Ibiza. Das ist schon ein Kontrastprogramm.
MORODER: Ach, das finde ich gar nicht. Als DJ trete ich an so vielen verschiedenen Orten auf. Ich war vor zwei Wochen in St. Tropez, da waren vielleicht 1500 Leute in einem Nachtclub. Und dann wieder sind es 10 000. Es ist einfach immer anders.
ALPS: Nur der Schnauzer ist immer da. Wie sind Sie eigentlich zu dem Look gekommen?
MORODER: Ich habe den Schnauzbart beinahe schon mein ganzes Leben. Das wurde dann mein Markenzeichen. Wenn ich mich irgendwann zurückziehe, werde ich ihn abschneiden. Wobei, vielleicht höre ich auch erst auf, wenn der Schnurrbart nicht mehr wächst. Das kann in ein paar Tagen oder in ein paar Jahren sein oder überhaupt nicht passieren.
1946 in St. Ulrich, geboren, nannte seine Mutter ihren Sohn Hansjörg. 20 Jahre später ging Moroder als Giorgio nach Berlin und gründete 1973 im Münchner Arabellapark sein Studio Musicland, in dem Queen oder die Rolling Stones Alben aufnahmen. Ein Zauberer am Synthesizer, gilt Moroder als Erfinder des Elektropop. 1978 übersiedelte er nach Los Angeles und komponierte Hits für Stars wie Blondie oder David Bowie, zahllose Soundtracks für Hollywood-Filme und Hymnen für Olympische Spiele. Sein bekanntester Song aber bleibt wohl die 17-minütige Stöhnorgie, die er 1975 Donna Summer auf den Leib schrieb: „Love To Love You Baby“
Mehr Informationen unter www.giorgiomoroder.com