Auch wenn die bayerischen Voralpen von „schwindelerregenden Höhen“ weit entfernt sind, locken sie mit zahlreichen Gipfelüberschreitungen und spannenden Graten. Im Mangfallgebirge am Wendelstein können mit wenig Zeitaufwand mehrere Gipfel aneinander gehängt werden und machen damit ein „Gipfel-Hopping“ auch für Bergsteiger mit weniger Kondition möglich. Das Beste dabei: ein garantiert ruhiges Bergerlebnis
Rot-Weiß ragt der dominante Sendemast des Bayerischen Rundfunks unübersehbar vor mir auf. Seit 1954 das Erkennungszeichen des Wendelstein-Gipfels, ist die Telekommunikations-Anlage für die Übertragung von Hörfunk und TV zuständig. Das Gesamtbild des schroffen Gipfels zeigt sich wahrlich fernab von Unberührtheit, denn neben der Anlage gibt es noch eine Stern- und Wetterwarte, das Wendelstein-Kicherl, die Bergstationen der Zahnrad- und Seilbahn, die Diensthütte der Bergwacht und ein ehemaliges Berghotel.
Wer lieber auf das Haupt eines ursprünglichen und einsameren Gipfels steigen möchte, muss nicht lange danach suchen. Das Wendelsteinmassiv im Mangfallgebirge hält für Wanderer und Bergsteiger zahlreiche Alternativen bereit!
Sehr attraktiv gestaltet sich die Aneinanderreihung von mehreren formschönen Gipfeln, der sogenannten Wendelstein–Reibn, die beliebig erweitert werden kann. Mit nicht allzu großer Anstrengung können von Bayrischzell aus an die sechs Gipfel bestiegen werden. Da sie alle recht nah beieinander liegen, ist ein „Gipfel-Hopping“ auch in kurzer Zeit möglich. Doch heute nehmen wir uns „nur“ drei Gipfel vor.
Von Bayerischzell kommendend fahre ich auf der deutschen Alpenstraße hinauf zum Sudefeldpass (1.123 m). Er befindet sich in 7 km Luftlinie zur österreichischen Grenze und verbindet Bayrischzell mit Oberaudorf. Der Parkplatz und heutige Ausgangspunkt Unteres Sudelfeld befindet sich unterhalb der Jugendherberge.
Von dort folge ich den gelben Wegweisern Richtung Wendelstein/Wildalpjoch. Ein breiter Forstweg schlängelt sich über Almgelände und durch kurze Waldpassagen, bis der Weg auf einer Anhöhe rauskommt. Ab hier geht’s auf einer geteerten Straße weiter durch das Lacherkar Richtung Wendelstein.
Man sollte sich von der großzügig angegebenen Zeit (2,5 Stunden) nicht beeindrucken lassen. Die Straße kann außerdem über einen Pfad abgekürzt werden! Ich komme an der unbewirtschafteten Lacheralm (1.350m) vorbei. Mehrere Almgebäude verteilen sich hier auf den Südhängen der Lacherspitze. Hier lässt es sich gut pausieren und den Ausblick auf das wilde Kaisergebirge genießen.
Nach einem weiteren Stück auf der Teerstraße zweigt der Weg links in einen schmalen Pfad ab. Ab hier wird es matschig. Der Schnee ist nass und vermischt sich mit dem aufgeweichten erdigen Untergrund. Um den richtigen Weg hinauf zur Lacherspitze zu erwischen, muss man sich immer links der Felswände orientieren. Ein kaum sichtbarer Steig führt steil hinauf zu einer grasigen Anhöhe. Der freie Blick auf die Hohen Tauern, eine Hochgebirgsregion der Zentralalpen in Österreich, ist grandios!
Rechts geht’s auf dem nun deutlich ausgetretenen Pfad hinauf zur Lacherspitze (1.724 m). Da es sich bei diesem Teilabschnitt des Aufstieges um einen unmarkierten alten Schäfer- und Jägerweg handelt, trifft man so gut wie nie auf andere Wanderer. Perfekt, um die Ruhe in vollen Zügen zu genießen!
Oben angekommen, treffe ich auf zwei weitere Gipfelaspiranten. Der Gipfel der Lachspitze ist ein toller Aussichtsberg mit 360-Grad-Panorama und wird gerne als Ausweichgipfel bestiegen. Trotz des typischen November–Grauschleiers ist die Fernsicht am föhnigen und südlichen Ende der Wolkendecke sehr gut und lässt die majestätischen Hohen Tauern im Hintergrund regelrecht erstrahlen. Aussichtsreich ist auch der Blick in Richtung Chiemsee und über das Inntal.
Dazu formt der Föhnwind bizarre Wokenmuster über den Bergketten, was der Stimmung einen dramatischen Ausdruck verleiht. Wer möchte diesen schönen Charakterhimmel gegen ein monotones Blau tauschen? Ich jedenfalls nicht!
Links von mir erhebt sich die schroffe, felsdurchsetzte, von zahlreichen Bauwerken dominierte Wendelstein–Ostwand. Im Zickzack führen die Schienen der Zahnradbahn hinauf zur Aussichtsplattform. Dort befindet sich auch das geschlossene Berghotel und ein Restaurant. Auf einem Felsvorsprung aus dicken Steinmauern errichtet, steht auf 1.760 Metern das höchstgelegene Gotteshaus Deutschlands: Die Wendelsteinkirche „Patrona Bavariae“. An diesem geweihten Ort werden in regelmäßigen Abständen Bergmessen abgehalten und Paare getraut.
Unweit der Lacherspitze befindet sich die karstige Felsformation der Kesselwand (1.721m). Der zweite Gipfel dieses Tages wird in kurzer, aber mitunter leichter Kraxelei erstiegen. Für geübte Wanderer und Bergsteiger stellt der exponierte Anstieg kein Problem dar, jedoch sollten Eltern an der Abbruchkante besondere Vorsicht walten lassen!
Davor muss ich erstmal zum Skigebiet absteigen. Im Winter erfreuen sich zahlreiche gute Skifahrer an dem kleinen Freeridegebiet, welches nicht ohne Grund Erfahrung auf schwarzen Pisten voraussetzt.
Wenn es die Schneelage zulässt, gibt es hier für Kenner und Könner ein paar interessante bzw. rasante Abfahrten. Wer im Naturschnee-Skigebiet Skifahren möchte, sollte Spaß an sportlichen Herausforderungen haben! Vom Hotelhang geht’s auf einer schwarzen Piste für den Einstieg schon steil zur Sache, bevor die mittelschwere Westabfahrt an den Wendelsteiner Almen vorbei führt, bis hinab zur Seilbahn-Talstation in Osterhofen-Bayrischzell. Wer sich eingewedelt hat, kann sich an die schwarze Ostabfahrt wagen. Auf 3,8 Kilometern führt die anspruchsvolle Abfahrt hinunter zur bewirtschafteten Mitteralm. Für routinierte Skifahrer ein wahrer Genuss!
Am Abzweig folge ich den Wegweisern Richtung Mitteralm. Links quere ich auf einem schmalen, verschneiten Pfad entlang der Kesselwand, bevor es abermals links weggeht. Nach zehn Minuten stehe ich auf dem ausgesetzten Gipfel. Der Berg wird bei der Besteigung der Soinwand meistens ausgelassen. Für mich ein Grund mehr, um die paar Höhenmeter auf sich zu nehmen und die Ruhe hier oben zu genießen.
Gipfel Nummer drei ist zum Greifen nah. Mit 1.756 Metern ist der unscheinbarer Gipfel der Soinwand ganze 82 Meter niedriger als ihr imposanter Nachbar, der überlaufene Wendelstein. Trotzdem kann sie fernab der Touristenmassen mit Einsamkeit punkten! Nach dem kurzen Abstieg von der Kesselwand geht’s auf dem Pfad flach dahin. Auf einer verschneiten Wiese komme ich an einer urigen, kleinen Holzhütte vorbei, die aus wild zusammengenagelten Holzschindeln besteht. Der Erbauer hatte anscheinend nicht viel Know-how im Hüttenbau oder ist ein Künstler …
Nach einem kurzen Aufschwung stehe ich auch schon am grasigen Sattel und habe das Gipfelkreuz der Soinwand direkt vor mir. Durch Latschen führt der rutschige Weg über Steine und Wurzeln hinauf zum Höhepunkt. Am schlichten Holzkreuz der Soinwand flattern zerrissene Gebetsfahnen im Wind. Sie sind stille Repräsentanten der Vergänglichkeit.
Der Blick in den grauen Himmel lässt die Hoffnung auf Sonnenstrahlen verpuffen. Obwohl es föhnig ist, schafft es die Sonne nur im Süden, die dichte Wolkendecke zu durchbrechen. Auch wenn mir heute die wärmenden Sonnenstrahlen verwehrt bleiben, erfreue ich mich an der bewegten Wolkenstimmung.
Für den Abstieg gibt es nun zwei Varianten: Die erste führt über den Aufstiegsweg hinunter zum Ausgangspunkt. Variante zwei ist ein lohnender Rundweg: Zuerst muss ich wieder zum Skigebiet zurücklaufen. Bei den Wegweisern angekommen, folge ich der Beschilderung zu den Wendelsteiner Almen. Ein schmaler Pfad führt mich in einer halben Stunde über die freien Wiesen des Almgeländes, hinab zur Alm. Im Sommer verköstigt die Sennerin hungrige Wanderer mit hausgemachten Kuchen und Brotzeit.
Am angrenzenden Waldrand verzweigt sich der Weg in mehrere Richtungen. Ich folge dem Wegweiser Richtung Unteres Sudelfeld. Je nachdem, wie schnell man im Abstieg ist, dauert es ca. 45-60 Minuten zurück zum Ausgangspunkt. Im Winter macht dieser Abstieg mehr Sinn, da er südseitig am Hang verläuft und dadurch weniger Schnee vorzufinden ist!
Ausrichtung // Süd/Ost Bergtour 4 – 5 Stunden 900 Höhenmeter, 14 Kilometer
Art // Bergtour.
Schwierigkeit // Mittel. Die Tour führt größtenteils über schmale Pfade. Am Gipfel der Kesselwand ist Vorsicht geboten, da es dort oben etwas ausgesetzt ist. Ansonsten sind die Wege ohne größere Schwierigkeiten zu begehen.
Orientierung // Vom Ausgangspunkt Unteres Sudelfeld folgt man dem Wanderweg auf einer breiten Forststrasse über schönes Almgelände und durch Waldabschnitte, bevor es auf einem Sattel und anschließend auf einer Teerstrasse Richtung Wendelstein, durch das Lacherkar geht. Nach der Lacheralm über einen schmalen Pfad hinauf zur Lacherspitze. Vom Gipfel hinunter zum Skigebiet. Nach einer Querung auf die Kesselwand und anschließend an der Holzhütte vorbei auf den Gipfel der Soinwand. Abstieg über den Rundweg Wendelsteiner Almen.
Beste Jahreszeit // Durch die guten Wege auch noch im Frühwinter zu begehen.
Einkehrmöglichkeit // Mitteralm (1199 m) ist ganzjährig geöffnet. Wendelsteinalm (1.420 m), Ende Juni bis Anfang September.
Anreise // Mit dem Auto:
Autobahn A8 Richtung Salzburg, Ausfahrt Weyarn oder Irschenberg. Weiter auf der Landstraße Richtung Bayrischzell – Sudelfeld.
Parkplatz // Kehlheimer Hütte, am Sudelfeldpass Unteres Sudelfeld.
Kosten // Kostenlos.
Mit den Öffentlichen: Von München mit der Bayerischen Oberlandbahn nach Bayrischzell. Dort in die Wendelsteinringlinie (Kurs B) umsteigen und bis zur Haltestelle Arzmoos fahren (Fahrplan checken!).
Ausrüstung // Bergtourenausrüstung, warme Kleidung, gutes Schuhwerk.
TIPP // Motivierte und fitte Bergsteiger, die im Wendelsteingebiet zusätzlich noch mehr Höhenmeter machen wollen, können diese Gipfel zusätzlich dranhängen:
Käserwand, (1.690 m), Wildalpjoch, (1.720 m) und Wendelstein (1.838 m).