Über drei Hütten zwischen vergletscherten Viertausendern fünf Tage lang zu sechst unterwegs auf Tourenskiern – Skihochtourentage in illustrer Gipfel- und Gletscherunde
In das 3450 Meter hoch gelegene Bergtheater des Berner Oberlands strömt täglich ein großes Defilée weitgereister Zaungäste, routinierter Abonnenten und nervöser Novizen. Sie steigen auf dem höchsten Bahnhof Europas aus der Jungfraubahn, die sie in mehreren Etappen bequem durch hochalpine Kulissen und quer durch einen Tunnel im Eigermassiv mitten hinein in den Festsaal der Westalpen bringt. Statt Parfum empfängt sie in der spürbar dünn gewordenen Luft ein appetitanregender Curry-geruch vom Buffet des indischen Restaurants, das man hier oben neben weiteren Gaststätten, Kiosken, Souvenirshops, einem Eispalast sowie einer Forschungsstation findet. Zu sechst reihen wir uns mit geschulterten Tourenskiern und vom Outfit her als eindeutige Minderheit erkennbar in das Schauspiel ein. Wir sind eine Gastkompagnie samt erfahrenem Regisseur aus München, die sich bei diesem Hochamt der Schweizer Berge auf hoffentlich nicht zu dünnes Eis wagt.





Um von diesem Safe-Spaceship mit spektakulärer Aussicht weiter, über im Winter ungesichertes Gelände zur Mönchsjochhütte und in das offene Gelände vorzudringen, muss man sich an eine strenge Kleider- und Ausrüstungsordnung halten sowie erfahrener Stammgast auf winterlichen Hochgebirgstouren sein. Das wussten wir und lassen daher getrost die in mehreren Sprachen, unter anderem in Hindi und Chinesisch eindringlich verfassten Warnschilder links liegen, übersteigen eine Sperre und öffnen eine Aluminiumtür zur gewaltigen Freilichtbühne des Berner Oberlands. Als ungebetener Gastdarsteller und anstrengender Zeitgenosse hat sich überraschend ein Föhnsturm mit eingeladen, der uns sogleich freudig an der Tür begrüßt und sich auf den Weg zu unserer ersten Unterkunft als Nervensäge dazugesellt.
Dort lässt man ihn glücklicherweise nicht mit uns in die auf 3657 Metern am Fels des Mönchs gebaute Schutzhütte hinein. Wütend rüttelt er die kommenden zwei Tage an den Wänden, Fenstern und Türen und freut sich diebisch, wenn er uns auf dem kurzen Weg zwischen Hütte und dem ungeheizten Toilettenhaus kalt mit böiger Schneegischt erwischen kann.
Die unaufgeregte Hüttenmannschaft empfiehlt uns, dass wir bei diesem Sturm nicht auf den Mönch mit seinem schmalen, ausgesetzten Firngrat gehen sollten. Das wäre nach unserem Drehbuch der erste VIP der 4000er gewesen, dem wir mit einer Akklimatisierungstour in dieser Höhe die Ehre erweisen wollten.
Meine Schockverliebtheit in die Hautevolee der Berge lässt mich diesen ersten Korb vergessen. Vorbei an den steilen Gletscherabbrüchen der Südostwand des Mönchs fahren wir nach der ersten Nacht auf der Hütte mit seichtem Schlaf nun mit schwerem Kopf dem Sturm davon in die Stille des Ewigschneefelds. Wir begegnen ihm auf dem sanften Walcherhorn wieder, wo er uns zwar ordentlich zusetzt, aber dafür mit seinen Schneefahnen ein beeindruckenes Bühnenbild erzeugt.
Die Namen der Schauplätze des Schauspiels, in dem wir in den kommenden Tage mitwirken möchten, sind aus dem Who‘s who des alpinen Kanons: das Dreigestirn aus Jungfrau, Eiger und Mönch, nicht weniger prominent das mächtige Finsteraarhorn, der Aletschgletscher, die Grünhornlücke und der Konkordiaplatz, auf dem alle Gletscher aufeinandertreffen und sich hier zum größten und längsten der Alpen formieren.
Um uns auf diesem spaltenreichen Parkett zu bewegen, müssen wir routiniert Steigeisen anlegen und mit ihnen sicher gehen können, unsere Eispickel richtig einsetzen, statt einer Fliege oder Krawatte Schmetterlings- und Prusiknoten binden, Abendgarderobe gegen Klettergurte und Seile tauschen und bei Bedarf angeseilt steigen.
Wir akzeptieren es in den kommenden Tagen demütig nicht nur vom Mönch, sondern auch anderen Gipfeln aus der 4k-High-Society wie der Jungfrau (aktuelle Lawinengefahr in der Steilwandquerung) abgewiesen zu werden. Dafür erkennen wir in unseren langen Etappen immer mehr die eigentliche Essenz unseres Skripts. Nach zwei Nächten auf der Mönchsjochhütte fahren wir im Morgengrauen ab auf das Jungfraufirn, besuchen statt der abweisenden Jungfrau das sanfte Louwihorn bei frühem Licht und ohne Starkwind. Über den Kranzbergfirn fahren wir ab und wohin wir auch in unserer Pause blicken, besteht die Kulisse aus Eisabbrüchen, überfirnten Gipfeln und Graten, Eiswänden und weiten Gletscherflächen.







Die Königsloge für dieses visuelle Spektakel liegt für uns heute 130 Höhenmeter über dem Konkordiaplatz, dessen Ausmaße wir am eigenen Leib spüren, als wir ihn bei Mittagssonne auf Fellen queren müssen. An der Freiluftgarderobe unterhalb des Zustiegs zur ausverkauften Konkordiahütte stecken wir unsere Ski in den Schnee und steigen 444 Stufen auf in den Fels gebohrten Metalltreppen hoch zu unserer nächste Unterkunft. Oben an der zweiten Garderobe legen wir Seile, Pickel, Felle, Steigeisen und Stiefel ab. Windgeschützt in der Nachmittagssonne sitzend, bei Rösti, Würstel, Kuchen und Kaltgetränken mit Kaiserblick über das Eismeer verdrängen wir, dass wir nachher unser Abendessen erst in der zweiten Schicht bekommen und unsere Wecker morgen um 4 Uhr läuten werden.
Mit Müsli, Kaffee und Lampenfieber im Bauch, Lichtern auf dem Kopf und auf übersäuerten Beinmuskeln staksen wir in kalter Dunkelheit am nächsten Tag auf den Metalltreppen hinunter zur Skigarderobe und fahren ein Stück zurück auf die verharschte Schneedecke des Konkordiaplatzes. Mit Fellen unter und Harscheisen an den Skier steigen wir im fahlen Morgenlicht an blau schimmernden Eisblöcken vorbei, die sich an der steilen Bruchstelle des Ewigschneefelds türmen. Als Klimax ist heute der 4049 Meter hohe Gipfel des Großen Fiescherhorns im Tourenplan vorgemerkt. Der lange Schlussanstieg zum Fieschersattel ist steil und im Finale nur mit Steigeisen und Pickel machbar. Auch dieser Viertausenderhoheit werden wir nicht gerecht.
Die finale Kletterei über den langen Felsgrat ist uns angesichts des auffrischenden Windes und der damit einhergehenden Kälte sowie der späten Uhrzeit zu heikel. Und wieder ist es uns irgendwie egal, dass unsere Ambitionen, die wir aus dem Tal mitgebracht haben, sich hier oben in der Höhenluft auflösen. Denn die fordernde Abfahrt über den steilen Fieschergletscher mit seinen hängenden Abbrüchen wirkt in unseren Gemütern kathartisch gegen den Blues entgangener Gipfel.




Mittlerweile hat sich Saharastaub in die Luft gemischt, der wie aus einer Nebelmaschine das Bühnenbild in ein schummriges Licht einhüllt. Er kam in der Nachhut des Föhnsturms. Auf der Finsteraarhornhütte, unserer dritten Szene, ist alles voll, es gibt kein fließendes Wasser und kein Mobilfunknetz. Alle Gespräche verstummen wie auf Anweisung, als im kleinen Fernseher der großen Stube die Wettervorhersage läuft. Morgen wäre auf unserem Tourneeprogramm das Finsteraarhorn oder das Große Wannenhorn an der Reihe gewesen. Aber wir beschließen, vorzeitig unser bis jetzt unfallfreies Gastspiel zu beenden, damit wir dem soeben prognostizierten Whiteout an unserem Abreisetag entgehen. Er hätte es uns unmöglich gemacht, sicher über die weiten Gletscher zu gehen und ins Tal abzufahren.
Das vorgezogene sehr lange Finale am nächsten Tag über die Grünhornlücke, den Konkordiaplatz und den Großen Aletschfirn zur Lötschenlücke und den Langgletscher ins weite Tal hinunter ist landschaftlich molto furioso, das wir aber lentamente angehen. Nicht der Wind, sondern die intensive Frühlingssonne hat sich dieses Mal als ungefragte Wegbegleiterin zur Verfügung gestellt, bevor morgen eine Schlechtwetterkaltfront im hohen Theater für einige Tage den Vorhang fallen lassen wird.





Das Berner Oberland ist ein Skihochtoureneldorado. Auf allen Touren benötigt man volle Hochtourenausrüstung, gute Kondition und Erfahrung. Wenn man nicht mit einer qualifiziert geführten Gruppe geht, sollte man mindestens zu zweit sein und Spaltenbergung sowie Seiltechniken beherrschen.
Man sollte unbedingt vorher mit mehreren Hochgebirgstouren über 3000 Meter Höhe akklimatisiert sein, idealerweise mit Übernachtung auf über 2000 Meter Höhe.
Alle Hütten öffnen erst im Spätwinter, eine Reservierung ist unbedingt und rechtzeitig empfehlenswert. Die Hütten akzeptieren alle Kreditkarten. Auf dem Jungfraujoch selbst kann man nicht übernachten.
Der einfachste Einstieg ist die Fahrt mit der Jungfraubahn von Interlaken oder Matten, die einen direkt auf 3450 Meter Höhe bringt. By fair means gelangt man von Blatten über den Langgletscher, die Hollandiahütte und Lötschenlücke in die Hochgebirgsregion.
Die Bandbreite an Gipfeln und Schwierigkeiten ist enorm, die Machbarkeit abgesehen vom eigenen Können immer von den tagesaktuellen Konditionen wie Schnee- und Lawinenlage sowie Sicht und Wind abhängig. Paradegipfel sind die Jungfrau, das Aletschhorn sowie das Finsteraarhorn. Etwas leichtere Ziele sind das Louwihorn, das Walcherhorn, das Große Wannenhorn sowie das Hintere Fiescherhorn.
Bei Anreise per Pkw empfiehlt es sich, auf der P+R-Fläche bei Matten zu parken, wo man sein Auto auch über mehrere Nächte stehen lassen kann. Mit der Bahn nach Interlaken, von dort weiter mit der Jungfraubahn.