Hans Kammerlander über das Risiko am Berg und den Verlust von Partnern
Wenn ein Extremalpinist aufbricht, ist immer ein enormes Risiko dabei. Es gibt eine Statistik, die das verdeutlicht: Nur wenige Profialpinisten überleben ihre Grenzgänge am Berg. Trotzdem wagen sie es immer wieder, gehen immer weiter an die Grenze und manchmal darüber hinaus. Nur die wenigsten entscheiden auf dem Höhepunkt, diesen riskanten Weg nicht mehr zu gehen.
Der französische Spitzenalpinist Christophe Profit ist einer von ihnen. Er hat viele Grenzen gesprengt, zum Beispiel in 24 Stunden Eiger, Matterhorn und die Nordwand der Grandes Jorasses solo bestiegen und seine Ziele dann auf die hohen Berge der Welt gelegt. 1986 wurden wir bei einer gemeinsamen Lhotse-Südwand-Expedition beinahe von einer Steinlawine im Zelt erschlagen. Vielleicht mit ein Grund, warum er beschloss, sein alpinistisches Leben als normaler Bergführer fortzuführen. Reinhold Messner sagte nach seinem 14. Achttausender, ein grandioser Höhepunkt: Das war’s. Auch der Italiener Walter Bonatti zog sich zurück, als er am erfolgreichsten war. Extrembergsteigen ist in zwei Phasen besonders gefährlich: Wenn man den richtigen Moment zum Aufhören verpasst – und in der Anfangsphase. Als junger Alpinist ist deine Risikobereitschaft fast immer viel zu hoch. Umdrehen empfindest du als persönliches Scheitern. Du siehst die Gefahr zwar, aber du nimmst sie in Kauf. Mit viel Glück gelingen dir ein paar gute Aktionen, erfahrene Alpinisten werden auf dich aufmerksam und nehmen dich an die Hand.
Große Ziele anzupeilen, das Risiko aber auf ein Mindestmaß zu beschränken, habe ich von Friedl Mutschlechner gelernt. Er war sieben Jahre älter als ich und nahm mich 1979 mit auf meine erste große Dolomitentour, auf die Südwand der Cima Scotoni. Ab da waren wir ein eingespieltes Team. Er hat das Umfeld des Bergs studiert, das Wetter beobachtet und Veränderungen gelesen. Er kehrte um, wenn die Bedingungen nicht stimmten. Das war völlig neu für mich, ich hatte nur den Gipfel im Kopf. Friedl war wie ein Schutzschild für mich, das mir Sicherheit gab. In meinem Leben habe ich viele Seilpartner gehabt. Wie in einer Sportstaffel verfolgt man ein gemeinsames Ziel. Aus manchen wurden echte Freunde. Friedl war der beste Freund, am Berg und im Tal. Er stand auf drei Achttausendern, trotzdem wollte er nie Profibergsteiger werden. Als ich 1991 meine erste eigene Expedition zum Manaslu auf die Beine stellte, überlegte er lange, ob er noch einmal mitkommen sollte. Er ist nicht aufgebrochen, um eine Grenze zu sprengen; er wollte noch einmal aus der Routine heraus. Dass der Manaslu zu den „leichteren” Achttausendern gehört, spielte bei der Entscheidung eine wesentliche Rolle.
Am 10. Mai 1991 wurde Friedl am Manaslu nur wenige Meter neben mir tödlich vom Blitz getroffen. Weil trotz bester Vorbereitung ein Restrisiko bleibt. Dieser Verlust war nicht der einzige, den ich am Berg hautnah miterlebt habe. Aber er hat mich am tiefsten geprägt. Die Erinnerung an uns beide mitten im Gewitterinferno hat sich mir tief ins Gedächtnis eingebrannt.
Extrembergsteigen ohne Risiko gibt es nicht. Die Verluste am Berg haben mich nicht ängstlicher, sondern nur vorsichtiger gemacht. Und sie haben mich gelehrt: Aufbrechen bedeutet auch, dass du nicht mehr zurückkommst.
Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.
Web: www.kammerlander.com