Wo Licht ist, ist auch Schatten: Hans Kammerlander über Digitalisierung am Berg
Als ich 1998 mit meinem Freund Konrad Auer am Gipfel des Kangchendzönga angekommen war, war ich extrem erleichtert: Der Moment war so großartig, dass ich am dritthöchsten Berg der Welt einen Kopfstand machte. Das Bild ging um die Welt. Der Berg, einer der anspruchsvollsten überhaupt, ist mir nicht nur deshalb in Erinnerung. Bei dieser Besteigung hatte ich zum ersten Mal ein Satellitentelefon benutzt. Natürlich nicht, um in der Weltgeschichte herumzutelefonieren bei Preisen von damals knapp zehn Euro pro Minute. Aber für Notfälle und um den Wetterbericht von Wetterguru Karl Gabl in Innsbruck zu erhalten. Das war eine der größten Veränderungen für Extrembergsteiger überhaupt. Bis zu diesem Umbruch mussten wir das Wetter abschätzen, wie es ein Bergbauer in den Alpen gewohnt ist. Oft sind wir bei gutem Wetter gestartet und dann in einen lebensgefährlichen Sturm geraten. Durch das Satellitentelefon und das große Wissen von Gabl konnten wir plötzlich auf eine verlässliche Großwetterlage zurückgreifen.
Ich bin damals den größten Teil des Kangchendzönga mit Skiern abgefahren und habe mir wohl die Schuhe zu eng geschnallt. Die Folge: schwere Erfrierungen. Zurück im Basislager konnte ich über das Satellitentelefon Hilfe holen. Am nächsten Tag ging es mit einem Hubschrauber zur Erstversorgung nach Kathmandu ins Krankenhaus. Ohne Satellitentelefon hätte ich eine Woche vom Basislager ins Tal absteigen müssen und hätte heute am linken Fuß sicher keine Zehen mehr.
Das digitale Zeitalter hatte also auch an den Achttausendern begonnen. Damals galt der Nutzen der Risikoabwägung für die wenigen Bergsteiger, die unterwegs waren. Heute ist ein Achttausender-Gipfel das Lebensziel vieler Menschen. Die Auswirkungen sieht man zum Beispiel am Everest. Der Wetterbericht kommt für alle zum gleichen Zeitpunkt. Eine riesige Masse an Menschen ist deshalb gleichzeitig unterwegs. Lange Staus und mehr Risiko inklusive. Doch das ist nicht die einzige Auswirkung der digitalen Entwicklung. Sie dient heute in den Basislagern in erster Linie der sinnlosen Information. Ich wüsste wirklich nicht, warum die Welt auf Instagram ein Foto der Ravioli sehen sollte, die irgendjemand gerade zu sich nimmt.
Das hat mit dem Zeitgeist zu tun. Wer einfach nur unterwegs ist, geht unter. Junge Bergsteiger müssen in die digitale Welt einsteigen, damit überhaupt jemand von der Expedition erfährt. Das führt auch dazu, dass mit Dramaturgie, Musik und guten Bildern vermittelt wird, dass eine Besteigung weit spektakulärer war, als sie eigentlich ist.
Das betrifft auch die Normalos unter den Bergsteigern. Durch die technischen Möglichkeiten sind heute viel mehr Leute an Bergen wie Eiger Nordwand und Matterhorn unterwegs, die dort nichts zu suchen haben. Sie verlassen sich zu 100 Prozent auf die Elektronik, weil sie wissen, dass sie im Notfall die Bergrettung rufen können. Oder wie mir ein Hüttenwirt erzählte: Die erste Frage, die er bei der Buchung hört, gilt dem WLAN-Empfang. Wenn er antwortet, dass das Netz schlecht sei, sagen viele sofort ab. Das ist schon bedenklich.
Technik ist gut, aber den Kopf braucht es auch. Beides zusammen kann zu großartigen Leistungen führen, so wie 2018 am K2. Der Pole Andrzej Bargiel fuhr als erster Mensch vom Gipfel ab, eine der größten Unternehmungen im Himalaya überhaupt. Sein Bruder hat ihn dabei aus der Luft mit einer Drohne begleitet, ein wertvolles Hilfsmittel, um die richtige Linie zu wählen. Natürlich war das eine große Erleichterung, aber ich möchte die Leistung von Bargiel nicht schmälern. Die Drohne nahm ihm die Abfahrt sicher nicht ab, und auf zusätzlichen Sauerstoff hat er auch verzichtet.
Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.
Web: www.kammerlander.com