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Kammerlanders Grenzgänge – „Man kann sich nicht alles im Leben selbst erarbeiten“

Kammerlanders Grenzgänge – Zug zur Spitze. Hans Kammerlander über seine Erlebnisse als Bergführer

© Illustration: Bianca Litscher

Hans Kammerlander über Vorbilder und Lehrmeister – am Berg und im Tal

WENN DU SO WEITERMACHST, FLIEGST DU IRGENDWANN RUNTER!“. Ich höre meinen großen Bruder noch heute auf mich einreden, wie er mich beim Klettern beobachtete. Völlig naiv kraxelte ich mit meinen Kletterfreunden in den Wänden herum, ohne Erfahrung und Sicherung. Das Klettern verboten hat mir Alois trotzdem nicht, sondern mich zu einem Kletterkurs des Alpenvereins angemeldet. Er arbeitete damals in Bozen und holte mich an jedem Freitag mit seinem Fiat 500 ab und brachte mich am Sonntag wieder nach Hause zurück. Ein großer Zeitaufwand, für den ich ihm bis heute dankbar bin. Durch meinen Bruder habe ich gelernt: Mut alleine reicht nicht, du musst die Technik sauber beherrschen. Er war mein erster Lehrmeister, lange bevor ich die höchsten Berge der Welt für mich entdeckte.

Ein Vorbild gibt dir im Leben eine Linie vor. Reinhold Messner war eines für mich. Als ich mit ihm auf Expedition ging, erfuhr ich von seinen Vorbildern. Reinhold hat mit so viel Hochachtung vom sauberen Alpinismus, vom Mut und Können eines Walter Bonatti erzählt, dass ich gar nicht anders konnte, als ihn auch zu bewundern. Oder Gian Batista Vinatzer, den ich in meiner Zeit als auf die Dolomiten fixierten Kletterer für seine Künste bewundert habe. Dann holte mich mein Vorbild Reinhold Messner in seine Alpinschule und nahm mich später mit zum Cho Oyu, meinem ersten Achttausender. Mit der Zeit wurden wir Partner und er mein Lehrmeister. Umdrehen zu können, wenn es nicht mehr geht und wiederzukommen, das habe ich von Reinhold gelernt. Ich war so hungrig auf den höchsten Punkt, dass ich mehr als einmal zu viel riskiert hätte.

So begann mein Weg zu den höchsten Bergen der Welt und irgendwann war es an der Zeit, mich von meinen Vorbildern zu lösen. Nicht, weil sie an Bedeutung verloren hätten, sondern weil ich kein Nachläufer sein wollte oder jemand, der gegangene Routen wiederholt. Ich wollte meinen ganz eigenen Weg gehen. Damit wurde ich plötzlich selbst zum Vorbild, was gar nicht immer angenehm ist. Es nimmt dir Freiheit. Wie willst du Vorbild bleiben für die jungen Menschen, wenn du Aktionen machst, die ja gar nicht beispielhaft sind? Es gibt viele Gründe zu sagen, dass man besser nicht die erste Doppelüberschreitung zweier Achttausender wagen soll oder die Abfahrt mit Skiern vom Everest. Diese Rolle hat sich für mich immer wie ein zu groß geratenes Kleidungsstück angefühlt.

Meine Lehrmeister waren sehr wichtig für mich. Jeder braucht sie. Wenn du dir im Leben alles selbst erarbeiten müsstest, dann wäre das nicht nur für einen Extremalpinisten wie mich fatal. Ein Lehrmeister zeigt dir, worauf du achten musst und sagt dir, was gefährlich ist. Einen Lehrmeister zu haben, bedeutet, auf Erfahrungswerte zurückgreifen können. Es bringt sich ja auch kaum jemand selbst Lesen und Schreiben bei. Im Tal hatte ich immer ganz andere Vorbilder als oben am Gipfel. Wenn ich auf einem steilen Hang eine Bergbäuerin dabei beobachte, wie sie das Gras einbringt, in ein von Wetter und Arbeit gezeichnetes Gesicht schaue und sehe, wie zufrieden sie trotzdem ist, dann bewundere ich das viel mehr als einen erfolgreichen Unternehmer. Vorbilder und Lehrmeister, die gibt es überall. Man muss sie nur finden.

Der Extrembergsteiger

Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.

Web: www.kammerlander.com