Der Extrembergsteiger findet: In der Gruppe lernen Kinder und Jugendliche am besten
ALS SKILEHRER UNTERRICHTE ICH AM LIEBSTEN KINDER. Weil sie so natürlich an alles Neue herangehen. Weil sie gute Zuhörer sind, die schnell umsetzen, was du ihnen sagst. Meine Tochter ist jetzt 13 Jahre alt. Ihr das Skifahren beizubringen, darauf habe ich mich vor Jahren sehr gefreut. Aber für meine Tochter war ich bei ihren ersten Skiversuchen nicht der Skilehrer, sondern Papa. Und da hörte ich ziemlich bald: Mir ist kalt. Ich hab Hunger. Lass uns in die Hütte gehen. Ich hätte es wissen müssen. Kinder lernen viel besser in der Gruppe. In diesem Fall: beim Skikurs mit anderen Kindern oder im Skiverein.
Ich hab‘s ja selbst auch erfahren. Meine ersten Kletterversuche in den Dolomiten sind nur durch Glück gut ausgegangen. Von Sicherungstechniken hatte ich nicht die geringste Ahnung. Damals war ich nicht in der Lage, mein Können realistisch einzuschätzen. Mein Bruder Alois hingegen schon. Er beschloss, dass ich einen Kletterkurs beim Alpenverein besuchen sollte, und holte mich jedes Wochenende mit seinem kleinen Auto in unserem Heimatdorf ab und brachte mich nach Bozen. Dort habe ich an ein paar Wochenenden sehr viele Grundlagen zum Klettern gelernt, die mir jahrelanges und darüber hinaus gefährliches Herumprobieren erspart haben. Und ich habe nette Menschen getroffen, das ist mindestens gleich wichtig. Zwei der Kursleiter waren später meine Ausbilder bei der Bergführerprüfung.
Grundlagen erlernen, gemeinsam hinaus in die Natur gehen: Damals wie heute gilt: Vereine sind Gold wert für Kinder und Jugendliche. Gerade jetzt, in einer Zeit, in der Handys für ständige Ablenkung sorgen. Früher sind die Kinder ja nach der Schule im Wald herumgetobt. Das kommt immer seltener vor. Wenn Kinder aber Mitglied sind in einem Verein, dann gibt das eine Routine vor und ein Ziel: Die nächs-te Meisterschaft gewinnen. Einen schwierigen Klettersteig meistern. Oder einfach nur eine gute Zeit miteinander verbringen.
Im Verein wirst du an die Hand genommen und geführt. Wer als Kind oder Jugendlicher Zeit in den Bergen verbringt, etwa beim Kletterkurs oder beim Zelten, der bekommt automatisch einen Grundrespekt vor der Natur vermittelt. Dass so viele Menschen sich ehrenamtlich für die Vereinsarbeit einsetzen, fasziniert mich. In der Gesellschaft wird die Wertschätzung der Ehrenamtlichen oft flach gehalten. Das finde ich nicht richtig. Die Vereine dürfen sich in ihrer Bedeutung aber auch nicht überschätzen. Unabhängigkeit finde ich im Vereinswesen wichtig. Wenn politische Ideen mit hineinspielen, dann knatscht es schnell. Gerade die Vereinsspitze ist oft nicht frei von Einflüssen. Ein gutes Beispiel ist der Alpenverein. Da hängt mancher mehr an seinem Sessel als an der Sache selbst und nützt diese Position für andere Interessen. Das sehe ich kritisch, weil es einen Verein sehr schnell aus dem Gleichgewicht bringt.
Ein Verein soll nicht zu viel auf Einzelpersonen fokussieren. Der deutsche Alpenverein leistet sich einen Expeditionskader, sozusagen ein Nationalteam der Extrembergsteiger. Ehrlich? Ich glaube nicht, dass man auf diesem Weg die besten Alpinisten findet. Der Wille, ein Expeditionsbergsteiger zu werden, der muss in einem selbst wachsen.
Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.
Web: www.kammerlander.com