Hans Kammerlander über seine Erlebnisse als Bergführer
ARBEIT IST FüR VIELE EIN MITTEL ZUM ZWECK. Das war bei mir auch so, als ich auf dem Bau geschuftet und das ganze Geld dann in Ausrüstung für meine Bergabenteuer gesteckt habe. Obwohl ich in meinem Leben nie einen klaren Plan hatte, was aus mir werden sollte, wollte ich nicht ewig Kranführer sein. Warum also nicht mein Hobby, das Bergsteigen, zum Beruf machen und die Bergführerprüfung ablegen? Nach drei harten Jahren war ich mit 21 amZiel. Die Praxis war kein Problem, aber die Theorie – da kriege ich heute noch das Schaudern.
Bergführer ist ein toller Beruf, beidem man nicht nur ein Konzept runterspulen kann, denn jeder Menschtickt anders und man weiß nie, was kommt. Im Gegensatz zum Skilehrer, der den Spaß am Fahren weckensoll, baut der Beruf in erster Linie aufVerantwortung auf. Die ist riesig: Gleich in meinem zweiten Jahr als Bergführer bin ich mit meiner Gruppe am Ortler nur knapp an einer Katastrophe vorbei – eine Eislawine ging hinter uns ab und riss einen Kollegen und dessen Kunden in den Tod. Das sind Erlebnisse, die prägen und den Respekt schärfen. Vom Berg abgehalten haben sie mich nie.
Wir Bergführer haben es oft mit ängstlichen Menschen zu tun, die vor dem großen Tag kein Auge zumachen und total angespannt zum Treffpunkt kommen. In solchen Fällen gehe ich erst einmal einen Kaffee mit ihnen trinken. Natürlich bringen mir Vorträge oder die Zusammenarbeit mit Ausrüstern mehr als die Einnahmen als Bergführer – aufhören würde ich trotzdem nicht damit. Menschen, die von etwas begeistert sind, zu einem Traumziel zu begleiten, gibt mir nach wie vor viel. Sie wollen ihre Grenzen austesten, schauen, wie weit sie gehen können, so wie ich an den höchsten Bergen der Welt ja auch.
Ehrgeizige Ziele können ein Anspornsein – aus diesem Gedanken heraus kam ich auf die Idee mit der 24-Stunden-Wanderung. Mein Angebot, die Gäste über 24 Stunden zuführen, durch die Nacht und meine Südtiroler Heimat, ist bis heute ein voller Erfolg. Ich finde es immer wieder spannend, wie unterschiedlich die Teilnehmer dieser Herausforderung begegnen. Manche mit Demut und Zurückhaltung, andere sind übermotiviert. Gerade jene, die meinen, sie packen das locker, schaffen es am Ende nicht ins Ziel. Das weiß ich aus eigener Erfahrung: Wer dem Berg mit Hochmut begegnet, bekommt eine Antwort.
Natürlich haben wir Extrembergsteiger dazu beigetragen, dass die Berge zum größten Tummelplatz in der Freizeit geworden sind. Aber solange man sich an die Regeln hält, ist dagegen nichts zu sagen. Wenn ein Unglück passiert, werde ich oft gefragt, was die Fehler waren. Aber meistens ist die Antwort einfach: Es liegt nicht an der falschen Ausrüstung (eher an zu viel davon), sondern vielfachan Selbstüberschätzung. Auch dem Wetter, das in den Bergen schnell umschwingen kann, wird viel zuwenig Bedeutung beigemessen. Da wird schnell im Smartphone die Lage gecheckt, aber das reicht nicht. überhaupt die Sache mit den Handys. Kaum auf dem Gipfel angekommen, zücken auch meine Gäste als erstes das Ding und schicken eine Nachricht: „Ich hab’s geschafft.“ Doch so richtig realisieren es die Leute erst, wenn sie aus der Fernedann zum Berg zurückschauen und sagen können: „Da war ich oben“.
Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.
Web: www.kammerlander.com