Wenn der Schnee nicht zu uns kommt, müssen wir eben zu ihm! Bevor der Winter wieder richtig Fahrt aufnimmt und mit dem Loipenspurgerät in Bayern losgelegt werden kann, machen wir uns auf, in höhere Gefilde. Lösen quasi den Schnee-Joker ein! Dieser befindet sich in Tirol, in der Region Sellrain. Bekannt als Skitoureneldorado mit seinen zahlreichen 3000ern, bieten die vielen Seitentäler alles, was das Freeride-Tiefschneeherz begehrt! Doch auch Skater und Klassiker kommen voll auf ihre Kosten! Das idyllisch gelegene Lüsenstal im Sellrain ist hierbei der Anlaufpunkt für Langlauffans. Das großzügige, 40 Kilometer umfassende Loipennetz in Praxmar und Lüsens beherbergt sowohl anfängerfreundliche als auch herausfordernde Strecken für ambitionierte Langläufer. Auch wenn es am Wochenende oder in den Ferien etwas voller werden kann, gehört diese Höhenloipe definitiv in die Kategorie: schneesicherer Geheimtipp! Überzeugt euch selbst …
Dieses Jahr ist es so weit! Nach einigen anfangs zähen Versuchen auf dünnen Skating-Ski entscheide ich mich nach längerem Hin und Her für eine eigene Ausrüstung. Einige Übungstage mit Leihmaterial liegen hinter mir. Auch wenn ich weit davon entfernt bin, zu den Superperformern zu gehören … Als feurige, motivierte Anfängerin mit zwei Jahren Diagnoaltechnik in den Beinen, sprich dem ruhigeren, klassischen Stil, fühle ich mich bereit für neue Herausforderungen!
Für einen Adrenalin-Junkie wie ich es bin eine merkwürdige Idee? Ganz und gar nicht! Auch wenn auf den sicheren, präparierten Loipen nur bedingt Abenteuerfeeling aufkommt, ist es für mich Neuland, welches auf sportlicher Ebene für den gewissen Kick sorgt. Denn Skaten ist alles andere als langsam, langweilig oder ein Sport für Sonntagsausflügler. Skater sind überwiegend jung, megafit, stylish und rasant unterwegs. Ein Grund mehr, um sich diesem Zirkel der ästhetischen Athleten anzuschließen!
Die Ausrüstung ist vorhanden, der Wille ebenfalls. Doch leider fehlt das Notwendigste für die Ausübung: Schnee! Das „weiße Gold“ macht seinem Namen diese Saison in Sachen Seltenheit alle Ehre. Hier in Garmisch ist schon seit längerer Zeit alles grün. Die Bilder von verschneiten Bergen sind nur noch vage Erinnerung, ein gewisser Wehmut mischt sich darunter. Doch so schnell gebe ich nicht auf, bin am Recherchieren, wo es noch geht. Da kommt mir eine Idee. Der Plan B für dieses Wochenende: Stubaier Alpen, Sellrain! Meine zweite Heimat und das (Schnee)Paradies auf Erden. Wenn’s da nicht geht, wo sonst?
Seit meinem zwanzigsten Lebensjahr sind die majestätischen Berge des Sellrains ein Teil von mir. So viele Stunden, Wochen und Monate habe ich hier überwiegend im Winter verbracht. Allerdings nie auf Langlaufskiern. Schließlich kann man in dieser imposanten Hochgebirgsregion, wenn alles passt, die perfekten Locken in den Tiefschnee zaubern. Wieso sollte man so einen Traumtag sausen lassen und stattdessen von 110er-Powderlatten auf 44 mm dünne Spaghetti-Ski wechseln, mit denen man sich abseits der Loipe alle Knochen bricht?
Meine Antwort: Die Abwechslung machts wie so oft im Leben! Auch wenn für mich das Tourengehen immer meine größte Leidenschaft bleiben wird, brauche ich für Körper und Geist immer wieder neue Reize und Herausforderungen. Diese müssen natürlich irgendwo in den Bergen umgesetzt bzw. realisiert werden können. Deshalb gehts nach Lüsens, ins wunderschöne Nordtirol.
Am Gasthof Lüsens befindet sich ein großer Parkplatz. Für Skitourengeher, Schneeschuhgeher und natürlich auch für Langläufer. Sehr oft sind wir hier zu neuen oder bereits bekannten Touren aufgebrochen, die hohen Gipfel als Ziel. Wer hätte gedacht, dass ich hier lediglich für die Loipe anreise? Damals habe ich jene Langläufer belächelt, gar mit einem abschätzigen Kommentar bedacht: „Mei, die tun mir wirklich leid auf ihren wackligen Streichhölzern! Die wissen gar nicht, was Pulverschnee überhaupt ist, laufend auf ihren flachgewalzten Pisten.“ Lustig, wie es das Schicksal manchmal einfädelt …
Dieser Ausgangspunkt im oberen Bereich der Loipe ist für mich ideal. Aufgrund der leichten Hangneigung gehts mit etwas Gefälle entspannt bergab. Zum Einlaufen bzw. Warmfahren ideal. Schließlich darf im Eifer des Gefechts nicht vergessen werden, dass es am Ende wieder hinaufgeht … Die Langlaufski sind angeschnallt, der Fokus gesetzt und schon starte ich auf die ersten 5 Kilometer der blauen Tiroler Loipe. Gemütlich schlängelt sie sich über herrliche, freie Almflächen, auf denen Sonnenanbeter auf ihr Kosten kommen!
Richtung Süden hat man stets einen wunderbaren Blick auf den 3.298 Meter hohen Lüsenser Fernerkogel, welcher das Tal mit seinem imposanten Erscheinungsbild seit jeher prägt und der Umgebung einen wilden Charakter verleiht. Er wird von manchen Berglern sogar als das „Matterhorn Nordtirols“ gerühmt. Gipfelaspiranten sollten neben einer gehörigen Portion Erfahrung vor allem Kondition mitbringen. Auf dieser anspruchsvollen Skitour müssen ca. 1800 Höhenmeter überwunden werden. Am Ende winkt eine traumhafte Abfahrt über perfekt geneigte Skihänge!
Wieder zurück auf der Loipe bin ich motiviert, meine Runde noch etwas auszudehnen. Auch wenn die Bewegungen noch etwas kantig sind und die Ausführung höchstwahrscheinlich mangelhaft, fühle ich mich gut genug, um die Latte an diesem Tag etwas höher zu legen. Vom Gasthof Lüsens führt die 5,5 km lange Fernerboden Loipe hoch zum Talschluss. Durch das anstrengende Auf und Ab werden nur langsam Kilometer gut gemacht. Mein Herzschlag hämmert in meinen Ohren. Doch mein Ehrgeiz lässt mich jetzt zum Glück nicht im Stich und so schaffe ich die Runde mit hochrotem Kopf.
Wer denkt, Langlaufen wäre nur was für betagte Menschen, der stand zu 100 Prozent noch nie auf Skating-Ski!!! Bewegt sich der Puls beim Klassik-Stil je nach Ausführung eher im Grundlagenbereich, ist man aufgrund der komplexen Bewegungsabfolge und der daraus resultierenden hohen Geschwindigkeit schnell am Limit. Selbst als trainierte Sportlerin komme ich immer wieder an meine Grenzen. Natürlich spielt die Technik, wie in so vielen Bereichen die entscheidende Rolle. Ist diese noch nicht oder nur teilweise vorhanden, bewegt sich der Puls gerne im roten Bereich!
Tipp: Genug Pausen einplanen und die Uhr im Blick behalten, die Zeit vergeht beim Langlaufen echt schnell. Auch bei Kälte verliert der Körper viel Flüssigkeit. Hunger und Durst melden sich oft, wenn es schon zu spät und ein Defizit vorhanden ist. Die Energiereserven sollten deshalb ausreichend aufgefüllt werden. Ein Schluck Tee, dazu ein leckerer Riegel: Das wirkt Wunder und bringt den Puls wieder runter. Wer diese Signale ignoriert, wird schnell mit einem Leistungseinbruch oder Kreislaufproblemen konfrontiert.
Mein Herz signalisiert mir ohnehin, wann eine Pause fällig ist. Leider! Ich würde zu gerne ohne Unterbrechung durchlaufen, wie die anderen Skater, bei denen alles so mühelos aussieht. Doch naiv bin ich nicht. Um diesen lässigen Zustand des Gleitens zu erreichen, müssen jede Menge Übungskilometer und der ein oder andere Kurs absolviert werden. So bleibe ich wieder mal notgedrungen stehen. Doch wenigstens bleibt mir Zeit, um die ursprüngliche Landschaft genießen zu können. Höre den plätschernden Bächen zu, erfreue mich an der verschneiten Bergwelt und genieße einen perfekten Tag im Schnee.
Auf dem Rückweg habe ich Zeit zum Durchatmen. Bis zum Parkplatz gehts jetzt überwiegend bergab. Ein gewisses Flow-Gefühl macht sich in mir breit. Jetzt kann ich mich ganz aufs Laufen konzentrieren, ohne ständig vom Puls ausgebremst zu werden. Apropos: Das Gefälle fordert meine Brems-Skills. In die Knie gehen, Körperschwerpunkt senken und die Schneepflugposition einnehmen. Ohne Stahlkanten ist das Abbremsen jedoch um einiges schwieriger als beim Alpin-Ski. Körper anspannen, Augen zu und durch. Geschafft! Blaue Flecke bleiben heute zum Glück aus.
Zum Loipenplan: Anfängerfreundlich ist die blaue Tiroler Loipe (5,5km). Fortgeschrittenen und ausdauernden Sportlern empfehle ich die 11 Kilometer lange, mittelschwere Sport Loipe. Diese führt je nach Start mit ordentlich Höhengewinn über Moos, Lüsens und den Fernerboden. Ebenfalls sehr schön zu laufen: Die rote Waldweg Loipe (5km). Sie schlängelt sich in einem Auf und Ab am Rand des Zirbenwäldchens entlang. Und wer noch nicht genug hat oder richtig harte Intervalle laufen möchte, sollte sich auf der sehr steilen Wasserfall Loipe verausgaben. Laktat inklusive!
Ausrichtung // Alle Himmelsrichtungen LanglaufenGanztags Insgesamt 40 Kilometer Loipennetz
Art // Langlaufen: Skating und Klassik
Schwierigkeit // Leicht bis Schwer:
-Blau: 6,2 Kilometer
-Rot: 32,5 Kilometer
-Schwarz: 0,5 Kilometer
Orientierung // Gestartet wird entweder am Parkplatz Moos, Praxmar oder am Gasthof Lüsens. Dort stehen zur Orientierung/Übersicht Loipenpläne, welche die Loipen von einfach (Blau), über Mittel (Rot) sowie Schwer (Schwarz) kennzeichnen. Die Tafel zeigt außerdem die Länge der einzelnen Runden an und welche Technik dort gelaufen werden kann. Ein Ticket von 5 Euro muss gelöst werden!
Beste Jahreszeit // Anfang Dezember bis Ende April.
Einkehrmöglichkeit // Alpengasthof Lüsens und Gasthof Praxmar.
Anreise // A95 von München – B2 folgen – Garmisch-Partenkirchen in Richtung Mittenwald – Scharnitz – Zirler Berg – danach auf die B171 – Ausfahrt Sellrain – Kematen – Gries im Sellrain links Richtung Lüsens abbiegen.
Parkplatz // Moos, Praxmar oder Lüsens.
Kosten // 5 Euro.
Mit den Öffentlichen: München Hbf – EC87 Richtung Bologna C – Innsbruck Hbf – Bus 4166 nach Praxmar. Da kein Bus nach Lüsens fährt, müssen ca. 50 Höhenmeter hinunter zur Loipe abgestiegen werden. Fahrpläne beachten!
Ausrüstung // Skating/Klassik-Ski, Schuhe, Stöcke, Brotzeit.
TIPP // Der Alpengasthof Lüsens bietet auf seiner herrlichen Sonnenterasse stärkende Mahlzeiten in Form von süßen Verführungen, Suppen und größeren Mahlzeiten an. Übernachtungsgäste erhalten abends ein viergängiges Menü sowie morgens ein reichhaltiges Frühstück am Buffet. Einzig die Zimmer sind sehr einfach gehalten und entfalten damit ein waschechtes Hüttenfeeling!
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr.