Luise Kinseher war als Mama Bavaria das Mensch gewordene Gewissen bayerischer Machthaber. Im Interview verrät die Kabarettistin, was Humoristen zu Politikern befähigt, wann ihr selbst das Lachen vergeht und warum Heimat bunt ist …
Montagnachmittag im Münchner Westend. Rote Haare, knallrote Pumps, in Tracht gekleidet und den Dackel an der Leine – Luise Kinseher hat sich zum Interview standesgemäß aufgebrezelt. Seit 30 Jahren lebt die Kabarettistin in Nachbarschaft zur Bavaria-Statue. Dass sie selbst der Schutzpatronin Bayerns als „Mama Bavaria“ am Nockherberg gewissermaßen Leben einhauchen durfte, war wohl ein Wink des Schicksals. Nachdem sie acht Jahre lang in ihrer Paraderolle Bayerns Machthabern die Leviten gelesen hat, zieht sie weiter als „die Mama“ durchs Land – sogar bis nach Preußen! – mahnt und wettert und nimmt den bayerischen Heimatfanatismus charmant aufs Korn. Mit Dackel Gustl nimmt sie im Café Marais Platz, lächelt und sagt: Ich liebe den bayerischen Barock!
ALPS: Als „Mama Bavaria“ haben Sie die Rolle Ihres Lebens gefunden. Richtig?
Luise Kinseher: Das war wie ein Geschenk! In meiner kabarettistischen Laufbahn habe ich mich in alle möglichen Wesen weiblicher Natur aufgefächert. Aber Mama Bavaria hat eine große Akzeptanz genossen und passt so gut zu meiner Person. Auch die „Famous Mary from Bavary“ entwickelte ein Eigenleben, weil sie so gut ankam. Wenn du nur eine Augenbraue hochziehst und irgendeinen Laut von dir gibst und alle schmeißen sich vor Lachen, dann wirst du so eine Rolle nicht einfach fallenlassen. Und so war’s bei der Mama Bavaria auch. Wenn ich über den Viktualienmarkt gegangen bin, sagten die Leute, „Mei, die Mama“!
Wollten Sie der monumentalen Figur der Bavaria vielleicht auch ein menschlicheres Antlitz verleihen?
In meinem Programm beschwert sich die Mama Bavaria über das Kolossale dieser Abbildung. Mit dem Schwert hat sie eigentlich noch nie etwas anfangen können. Um Bayern zu verteidigen, reicht schließlich ein Nudelholz.
Wären Sie dann nicht die bessere Heimatministerin Bayerns geworden?
Ich bin zwar sehr heimatverbunden, aber nicht einseitig. Die Heimat hört ja nicht da hinten auf. Ich verwehre mich dagegen, dass irgendjemand bestimmt: Heimat ist hier, wo es Lederhose, Dirndl, eine Maß Bier und bestimmte Bräuche gibt. In einer Welt, wo AfD gewählt wird, stelle ich mich gern als Beschützerin eines offenen Heimatbegriffs zur Verfügung.
Wenn nicht ein Ministerium, was hält Bayern dann im Innersten zusammen?
Das wissen wir doch alle in Wirklichkeit nicht. Aber jeder benutzt den Begriff, um seine eigene Vorstellungen zu untermauern. Manche sagen Tradition, die Schuhplattler, die Tracht. Andere sagen, das Bier hält alles zusammen, weil‘s so schmeckt, wie es immer geschmeckt hat. Und die CSU behauptet, sie selbst hält alles zusammen. Für mich entwickelt sich Heimat ständig und wir gehen da alle mit. Ich wohne seit fast 30 Jahren in diesem Viertel. Es ist heute anders als es gestern war. Dort sperrt ein Lokal zu, dort eröffnet eines neu, dort zieht einer aus, dort jemand neues ein. Heimat ist Bewegung und Veränderung. Ich versuche, den Begriff nicht mit interessensgebundenen Inhalten zu füllen, sondern ihn genau davon zu befreien. In Bayern soll und darf sich doch jeder zuhause fühlen, der sich der Region in irgendeiner Form verbunden fühlt – egal wo er herkommt.
Heimat ist also kein rein konservativer Begriff?
Nein, für mich ist es ein bunter Begriff. Er ist nur leider historisch besetzt. Ich hatte das Gefühl: Es wird Zeit, ihn zurückzuholen zu jedem Einzelnen von uns mit der dazu gehörigen Offenheit und Individualität. In einer Welt, in der man Heimat nicht als etwas Geschlossenes betrachtet, wird Heimat zu etwas sehr Individuellem und Emotionalem. Ich will etwas dem entgegensetzen, was die CSU oder andere daraus machen. Für die ist Heimat oft nur eine Marketingidee.
Und was ist Heimat für Sie persönlich?
Die meisten verbinden die Heimat mit Erinnerungen an den Ort ihrer Kindheit, wo sie Geborgenheit und Vertrauen empfunden haben. Meine Heimat riecht nach Mamas frisch gebackenem Kuchen, nach Hefeteig, nach warmer, dampfiger Küche und Rumaroma. Aber man sagt ja auch, wer in sich selbst zuhause ist, ist überall daheim. Je mehr Selbstvertrauen ein Mensch hat, desto mehr ist er überall auf der Welt kompatibel.
„Für die CSU ist Heimat oft nur eine Marketing-Idee“
Welche Funktion erfüllt ein aus Bayern exportierter Heimatminister in Berlin?
Ich weiß nicht, ob Horst Seehofer für die deutsche Landbevölkerung Mecklenburg-Vorpommerns so etwas wie Heimat verkörpert. Eher nicht. Man hat den Begriff nach Berlin exportiert, um die Ideen der CSU mit einem Ministerium zu untermauern. Ohne sich Gedanken zu machen, ob das für die Leute relevant ist. Tatsächlich ist der Heimatbegriff in Bayern mit einem regionalen Selbstbewusstsein verbunden, das Bayern von anderen Bundesländern unterscheidet. Und das hat rein gar nichts mit der CSU zu tun, sondern mit der Landschaft. Die weltberühmte Bilderbuchlandschaft, satt
und voller Lebensfreude.
Die politische Heimat ist heute für Viele die AfD …
In der Entwicklung steckt viel Protest und Enttäuschung. Das Gefühl, nichts abzubekommen vom vermeintlich großen Kuchen, den die anderen absahnen. Wenn rechte Parteien wieder Zulauf bekommen, dann ist das ein Signal, dass man große gesellschaftliche Entwicklungen außer Acht gelassen hat. Die Schere zwischen Arm und Reich bricht auf, man kommt nicht mehr mit bei der Digitalisierung. Es gibt kein Netz, keinen Arzt, keine Bushaltestelle mehr in manchen Regionen. Man fühlt sich abgehängt. Mei, da hätten die anderen ein bisschen früher aufstehen müssen. In den Jahren als Horst Seehofer über Bayern von der Vorstufe des Paradieses sprach, hat er vergessen, dass es auch Leute gibt, denen es nicht so gut ging, die um Sozialleistungen und Pflegestufen kämpften. Wenn dann da ein charismatischer AfD-Politiker reingrätscht, dann wird halt der gewählt.
THEATER … war schon früh die
Leidenschaft Luise Kinsehers, die 1969 im niederbayerischen Geiselhöring geboren wurde. Sie studierte in München Germanistik, Theaterwissenschaften und Geschichte. Von 1993 bis 1998 war sie Ensemblemitglied der Iberl-Bühne bei Georg Maier in München-Solln.
FERNSEHEN … konsumierte sie zwar mit Hingabe, als Schauspielerin wurde es ihr aber nie so recht zur Heimat. Regisseur Franz Xaver Bogner besetzte sie in seinen Fernsehserien in Café Meineid und München 7 in Schlüsselrollen.
KABARETT …. ist für die Kinseher nicht zwingend politisch. Aber als politische Kabarettistin ist sie berühmt geworden. 2010 spielte sie erstmals die Bavaria beim Singspiel des traditionellen Politiker-Derbleckens auf dem Nockherberg. In den folgenden acht Jahren hielt sie in dieser Rolle als erste Frau überhaupt die Salvatorrede.
Kommt Ihnen nicht mitunter der Humor abhanden, wenn sie die aktuellen Entwicklungen am rechten Rand beobachten?
Rechtsextremismus ist nie lustig. Aber gerade deswegen ist es wichtig, entsprechend Position zu beziehen, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Unmissverständlich klarzumachen, dass man gern Bayer ist, ohne dogmatisch Traditionen pflegen zu müssen und ohne auszugrenzen. Kultur hat die Aufgabe, genau das zu tun.
Täuscht der Eindruck, dass vor allem das konservative Lager im Fokus politischer Satire steht?
Nein, die Zeiten sind längst vorbei. Es sind die etablierten Parteien, die Machthaber. Und das sind in Bayern die Konservativen. Ich sehe mich auch nicht als dezidiert politische Kabarettistin. Das war nur am Nockherberg so. Da hatte ich die zu derblecken, die da saßen. Die FDP zu schimpfen hätte keinen Sinn gemacht. Von denen saß ja keiner mehr dort. Kabarettistisch mit der AfD umzugehen ist schwierig, weil es nicht mehr lustig ist. Die AfD sitzt ja jetzt erst im Landtag und mein Nachfolger Maxi Schafroth hat es elegant umgangen, sich mit der AfD am Nockherberg auseinanderzusetzen.
Was steckt dahinter, dass Komödianten und Kabarettisten in die Politik gehen, sogar an die Macht kommen? Island, Ukraine, Slowenien, die Satire-Partei – Zufall?
Satirikern unterstellt man ja schon von vornherein, dass sie sich mit einem kritischen Auge mit der Gesellschaft beschäftigen. Und man unterstellt ihnen nicht vordergründig den Machtwillen und das Eigeninteresse. Dazu kommt, dass Humoristen redegewandt und sympathisch sind, nicht andauernd Fakten herunterbeten, verklausuliert daherreden, was vielen das Vertrauen in die Politik genommen hat. Der Satiriker hat keine Angst Tacheles zu reden, man traut ihm die Wahrheit eher zu, und zwar nicht aus politischem Kalkül.
Wie groß ist der Einfluss des Kabarett auf die Politik? Als sie auf dem Nockherberg aufgehört haben, sagten Sie, dass ja alles nichts genützt habe.
Das war auch ein Witz. Mich dürfen Sie auch nicht zu ernst nehmen. Der Nockherberg hat eine Sonderstellung, weltweit. Die Politiker gehen mit einer gewissen Ernsthaftigkeit daran und sitzten im Gegensatz zum Karneval nicht verkleidet im Publikum. Und dann müssen Sie sich von mir beschimpfen lassen. Kabarett ist ein guter Katalysator des Volkszorns. Kabarettisten bieten mit ihrer Haltung und Meinung Orientierung für viele. Auch Gerhard Polt, die Biermösl Blosn oder auch Konstantin Wecker, der politisch ganz woanders stehen mag, sind für Bayern immens wichtig.
„Kabarett ist ein guter Katalysator des Volkszorns“
Sie haben auch geschauspielert. Was ist aus dem guten alten Heimatfilm geworden?
Ich bin teilweise entsetzt vom 20.15-Uhr-Bayernbild. Bayern ist beliebt als Kulisse für allen möglichen Quatsch. Ein viel besseres Beispiel für modernes bayerisches Traditionsbewusstsein liefert die Musik. Die junge Volksmusikszene ist toll, mitsamt ihren traditionellen Bezügen und den Einflüssen aus dem Balkan und der ganzen Welt.
Welches Bayernbild liegt Ihnen am nächsten?
Ich bin ein Fan des bayerischen Barock, denn er sagt so viel über die Mentalität der Bayern aus: Das, was bei uns ausschaut wie Marmor, ist Holz. Es ist nicht alles Gold was glänzt. Wir Bayern sind Meister der Selbstinszenierung. Das Ausladende, die mondänen Feste, die Illusionsmalerei, der barocke Katholizismus, das Theatralische bei der heiligen Messe, die ganze Emotionalität – das alles ist zum Weinen schön.
Können Sie verstehen, dass der Berliner diese Inszenierung belächelt?
Na, wenn der Berliner nicht wäre, hätten wir das Ganze gar nicht erst so übertrieben!
Mia san mia, Schuhplattler und Maßkrug-Exn: In ihrem Bühnenprogramm MAMMA MIA BAVARIA geht Luise Kinseher Fragen von globalem Ausmaß auf den Grund: Hat sich der Bayer seine Heimat nur ausgedacht? Welche Bedeutung hat Bayern vom Weltraum aus betrachtet? Und welche Bedeutung hat das für die Welt? Denn: Wer mit Bayern klar kommt, kann auch Europa!
Alle Termine unter www.luise-kinseher.de