Es sind keine Worte für die Größe und Schöne dieses Anblicks.“ Dieser Satz stammt von keinem Geringeren als Johann Wolfgang von Goethe. Auch er erlag dem Anblick des Montblanc, der mit seinen fast 5000 Metern zum alpinen Sehnsuchtsziel schlechthin in Europa gehört. Die besondere Anziehungskraft des Eisriesen ist nur eine Gemeinsamkeit, die er mit dem höchsten Berg der Welt, dem Everest, teilt. Beide Berge sind technisch nicht besonders schwierig. An beiden sind sehr viele Menschen gestorben.
Was man vom Fuß des Montblanc aus nicht sieht: Auf keinem anderen Berg wird so viel gekotzt. Als ich 1977 mit drei Freunden nach Chamonix gefahren bin, um über die Brenvaflanke zum Gipfel zu gelangen, habe ich zum ersten Mal einen Vorgeschmack auf das bekommen, was man gemeinhin Höhenkrankheit nennt. Wir wollten in unserem jugendlichen Gipfeldrang nicht auf irgendeinem Normalweg nach oben, es musste schon die anspruchsvolle Nordwand sein. Kaum hatten wir die Biwakschachtel erreicht, musste sich mein Freund Hubert ständig übergeben. Wir sind da so schnell raufgestiegen, dass sich sein Körper überhaupt nicht an die Höhe gewöhnen konnte.
Später bin ich nur noch für Filmarbeiten zum Montblanc zurück. Alpinistisch hat er mich nicht mehr interessiert. Die Hütten müssen heute lange im Voraus gebucht und bezahlt werden, auch wenn das Wetter die Besteigung unmöglich macht. Stau wie am Everest, das gibt es auch am Montblanc. Es ist ein kommerzielles Ding geworden. Vielleicht bekomme ich gerade deshalb viele Anfragen, Gäste als Bergführer auf den Montblanc zu begleiten. Da sage ich automatisch Nein. Ich würde nie für Geld irgendwo hingehen, wo ich keine Freude daran habe und man nur eine Nummer unter vielen ist.
Der Montblanc ist ein Berg, auf den man hinauf will, um sagen zu können, dass man oben war. Und das ist nicht ganz ungefährlich. Technisch mag er nicht so anspruchsvoll sein. Aber es hat einen Grund, dass nach inoffiziellen Schätzungen bis zu 8000 Menschen dort gestorben sind. Durch den Gletscherrückgang ist er noch gefährlicher geworden. Ein Eisabbruch mit mehreren Toten wie jüngst an der Marmolata ist auch hier schon passiert. Aber es sind nicht nur diese natürlichen Risiken, die zum Bergsteigen gehören. Viele Bergsteiger sind schlicht nicht gut genug vorbereitet. Sie unterschätzen die Höhe wie wir damals. Sie wissen nicht, dass es gefährlich werden kann, wenn Nebel aufzieht. Sie sind müde, weil sie auf der Hütte kaum ein Auge zugetan haben, und aufgeregt, weil sie so schnell wie möglich ganz rauf wollen. Mich wundert ohnehin, dass man auf den Hütten nicht längst Sauerstoffkabinen eingerichtet hat. Für mich gehört der Berg ganz klar zu denen, die sich nicht positiv entwickelt haben.
Müßig zu sagen, dass im Gebiet drumherum viel schönere Berge stehen, die nicht so überlaufen sind. Es ist eben das Schicksal der höchsten, dass sie so viele Menschen anziehen. Die Drei Zinnen sind da eine andere Geschichte. Wer vor ihren ausgesetzten Wänden steht, hat Respekt vor der Steilheit. Das fehlt am Montblanc, weil sich die Gefahren dort besser verbergen.
Wenn ich Menschen den Traum erfüllen kann, einmal auf der Großen Zinne gestanden zu haben, dann fühlt sich das für mich gut an. Hier kann man sich aufs Wesentliche konzentrieren: die Besteigung. Ohne eine Nummer für die Hüttenübernachtung ziehen zu müssen.
Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.
Web: www.kammerlander.com