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Steinschlag, Muren und Co. – Hans Kammerlander über das neue Gesicht der Berge

Steinschlag, Muren und Co. – Hans Kammerlander über das neue Gesicht der Berge

Steinschlaggefahr riesig, Schönheit dahin: Die Königsspitze in der Ortlergruppe. © Fotos: Hans Kammerlander

„Der Weg wird ein anderer sein.“

Im Jahr 2017 stieg ich am Flughafen München in die Etihad-Maschine mit der Flugnummer EY4L, um über Abu Dhabi nach Kathmandu zu reisen. Mein Ziel: der Manaslu. Ich brach zum achthöchsten Berg der Welt auf, um eine Geschichte abzuschließen, die mich in meinem Leben lange beeinflusste. 1991 geriet ich dort mit meinem Freund Friedl Mutsch-lechner in einen Gewittersturm. Friedl wurde neben mir vom Blitz getroffen – und starb. Dieser Berg hat sich damit in mein Gedächtnis eingebrannt wie kein anderer – und doch erkannte ich ihn bei meiner Rückkehr nach über 25 Jahren in Teilen nicht wieder. Wo Friedl und ich beim Aufstieg über Schneefelder gelaufen sind, waren plötzlich überall Spalten und zerrissenes Eis. Der Manaslu hat nicht nur sein Gesicht verändert, er ist viel gefährlicher geworden. Kein Phänomen, das sich auf die höchsten Berge der Welt beschränkt. Die Veränderung ist da, gerade in den Alpen.

Vor allem die Gletscherberge sind betroffen. Wie viele es davon gibt, die in meiner Jugendzeit noch schön waren und heute hässlichen Schuttmoränen gleichen, an denen höchste Vorsicht geboten ist. Ein typisches Beispiel dafür ist die Königsspitze in der Ortlergruppe. Mit 3851 Metern ein gigantisch schöner Berg. Durch das weggeschmolzene Eis ist er ein regelrechter Geröllhaufen geworden. Die Steinschlaggefahr ist riesig. In meiner Anfangszeit als Bergführer war der zweithöchste Gipfel der Ortlergruppe unter Experten sehr beliebt. Heute meiden ihn Kollegen im Sommer. Er kommt nur noch in anderen Jahreszeiten in Frage. Das ist neu und eine Entwicklung, an die wir uns gewöhnen müssen.

Veränderung hat es immer gegeben. Am Großglockner hat man unter dem weggeschmolzenen Eis der Gletscher 9000 Jahre alte Holzstammreste gefunden. Aber heute spüren wir die Schwankungen viel mehr. Das hat in erster Linie mit uns selbst zu tun. Unser Umgang mit Ressourcen ist fahrlässig, auch deshalb macht sich der Wandel für uns viel krasser bemerkbar. Extreme Ereignisse wie der Gletschersturz an der Marmolata im Juli 2022 bringen natürlich zum Nachdenken. Bilder von Steinschlägen und Murenabgängen gehen durchs Netz. Das heißt aber nicht, dass man sich in den Bergen nicht mehr sicher bewegen kann. Es braucht eben die nötige Planung und das Wissen.

Steinschlag, Muren und Co. – Hans Kammerlander über das neue Gesicht der Berge

Das Ende der Unbefangenheit: Der beeindruckende Gletscherabbruch an der Marmolata im Juli 2022.

„Das war schon immer so“ – wer nach diesem Motto losstürmt, ist damit am Berg nicht gut beraten. Der Mensch muss sich an den Berg anpassen, umgekehrt hat das noch nie funktioniert. Ich weiß, viele vertrauen am liebsten irgendwelchen Wetter-Apps. Wenn ich mit Leuten unterwegs bin, erlebe ich oft, dass drei verschiedene Apps, drei verschiedene Einschätzungen bedeuten. Sich vor Ort bei Menschen zu informieren, die eine Gegend wirklich kennen, das ist immer noch das Beste. Wenn der Hüttenwirt sagt, er würde bei dem Wetter den Gipfel nicht versuchen, dann hat das einen guten Grund.

Ob Wege wegen drohender Naturereignisse in Zukunft gesperrt werden oder anders verlaufen? Ganz sicher. Gerade durch den Rückgang der Gletscher wird hier viel in Bewegung kommen. Wo man früher schön über das Gletscherfeld nach oben gestiegen ist, bleibt nur noch ein Geröllfeld übrig. Der Weg wird ein anderer sein.

Die kompakten Gletscherfelder, die ich am Manaslu in Erinnerung hatte, glichen bis 6500 Metern nur noch einem Labyrinth aus Spalten. Weiter oben sind die Temperaturen immer noch extrem tief und die Berge in ihrem Aussehen wie von der Eiszeit eingefroren. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich auch das ändert. Und es liegt an uns, wie wir dem begegnen.

Der Extrembergsteiger

Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.

Web: www.kammerlander.com