Sciare con Gusto: Alta Badias Hütten degradieren seit Jahren das Skifahren zur schönsten Nebensache der Welt. Denn bei jedem Pistenstopp machen die Wirte klar – hier geht es um Kulinarik statt Carven
Auf den ersten Blick ist die „Ütia Bamby“ eine ganz normale Skihütte. Mittags eingezäunt von Hunderten Paar Ski (die Stöckli-Dichte ist hoch), sitzt das Publikum auf der großzügigen Terrasse und stärkt sich für die Kurvenfahrt. Auf den zweiten Blick? Immer noch eine ganz normale Hütte: Hackbraten, Wurstel, Pommes. Erst wer die Karte genauer studiert, merkt: Da steckt mehr dahinter. Das Fleisch: Bio, vom Landwirt auf den Tisch. Gerne auch als Kalbszunge sauer oder Venezianische Leber. Die Weinkarte: regional und dinnertauglich. Und die Schnäpse und Liköre: abgefahren – Moschusschafgarbe, Kümmel und Lakritze setzen den üblichen Willis und anderen Feiglingen ein ambitioniertes Statement entgegen. Willkommen in Alta Badia, wo Essenfassen für Skifahrer mehr ist als Kalorientanken vom Schnellbuffet. Wenn man denn will.
Dem Status als Gourmetdestination hilft seit Jahren das Programm „Sciare con Gusto“ – Skifahren mit Genuss. Eine Art Entwicklungshilfe für klassische Skihüttenbetreiber. Den hübsch gelegenen Bergbeizen stellen in dieser Saison 13 italienische (gerne auch international tätige) Spitzenköche je ein Rezept zur Verfügung, das man so auf Hütten nicht erwarten würde. Ein jährlich wechselndes Motto sorgt für Zusammenhalt, in 2017/18 lautet es: Kindheit. Für die Bamby-Hütte hat Nino Graziano, dessen Restaurant „Semifreddo“ eine Moskauer Institution ist, ein Rezept seiner Großmutter in die Neuzeit gerettet: frittierte Artischocke und Ei (15 Euro). Golden ragt das Blütengemüse aus der Kartoffelbasis, crunchy die Blätter, bissfest der versunkene Strunk. Das pochierte Ei versteckt sich unter akkurat geschnittenem Artischocken-Stroh. Das Menü empfiehlt dazu einen grünen Veltliner aus dem Eisacktal. Ist das noch Skihütte? Oder schon alpine Avantgarde?
Wer alles ausprobieren möchte, darf ein paar Skitage in Alta Badia verbringen. Kalbswange mit Petersilienwurzel und Pflaumengröstl (Nicola Laera für die „Bioch-Hütte“), Rote-Rüben-Risotto mit Gorgonzola (Enrico Bartolini für die „Ütia L’Tama“), Oktopus mit Sauce (Guiseppe Biuso). Der Verführungen gibt es viele. Doch gerade die scheinbar simplen Gerichte bringen die Kindheitserinnerungen am zielsichersten auf die Teller. Umberto Bombana hat sich mit seinem Restaurant „8 ½“ in Hong Kong drei Michelin-Sterne erkocht (das einzige italienische Lokal mit drei Sternen außerhalb Italiens). Für die „Pic’Pre“-Hütte hat er sich eines Arme-Leute-Essens erinnert: Brot-Gnocchi mit Butter, Salbei und Bergschinken (13 Euro). Pic’Pre heißt „kleine Wiese“, doch die Gnocchi sind großes Kino, buttrige Bombana-Bömbchen mit Nachhall im Gaumen. Wenn die sympathische Wirtin Alma die Nocken auftischt, hat sie schon durch den Duft die Herzen der Gäste gewonnen.
Alta Badias Pionier des guten Essens war in den Siebzigerjahren Moritz Craffonara. Während auf Südtirols Skihütten noch Gemüsesuppe mit oder ohne Würstel sowie Maccharoni Ragu die Gipfel des Genusses beschrieben, vermengte er im „Moritzino“ längst die Spaghetti mit Trüffeln oder Meeresfrüchten. „Die Schwierigkeit war, gute Köche auf den Berg zu bekommen“, erzählt der 73-jährige Craffonara. Sein erster Spitzenkoch, er hieß Sergio, sah aus wie Rudolf Nureyev und machte auch kulinarisch den Piz La Ila zur großen Bühne. Sein großer Wurf, die Hummerpasta, lockte Menschen wie Gunter Sachs dauerhaft ins „Moritzino“ und zementierte den Kultstatus. DJ, Außendisco, Champagner in 12-Literflaschen, das „Moritzino“ wurde zum Club auf 2100 Metern Höhe. Leider verschwand Sergio nach zwei Jahren, ohne sich zu verabschieden, „eine Krise war das!“, erinnert sich Moritz Craffonara. Tempi passati, zum Glück. Auf seinen aktuellen Küchenchef Marc Spinelli kann er seit 18 Jahren zählen – Spinelli steht für eine Qualität des Aufgetellerten, die seinesgleichen sucht. Hier werden mittlerweile mehr Trüffeln gehobelt als Skikanten.
In dieser Saison beteiligt sich das „Moritzino“ am „Skifahren mit Genuss“ mit einem Rezept von Norbert Niederkofler, dem über allen schwebenden Vordenker der Südtiroler Küche. „C‘era una volta una trota“, es war einmal eine Forelle, heißt sein Teller. Niederkofler, mit dem „St. Hubertus“ jüngst in den Drei-Sterne-Olymp berufen, gewährt mit dem Gericht all jenen einen Einblick in seine Künste, die es während ihrer Skiwoche nicht von der Warteliste in den Gastraum schaffen. Ein frischer Tartar, leicht mariniert und geräuchert, kleine krosse Chips der Fischhaut, dazu fürs Salzige der Forellenkaviar, höchst explosive Perlen. Der Geschmack: ein Gaumenballett. Niederkoflers Herdphilosophie „Cook The Mountains“ bildet sich hier wie unterm Brennglas ab: radikal regional, radikal nachhaltig – nichts wird weggeschmissen. Für die cremige Soße brät man Kopf, Karkasse und Gräten scharf an, löscht mit Weißwein ab und montiert mit Butter und Dillöl auf. Und das ganze für 15 Euro. Wenn Moritzino-Sommelier Carmine Di Lorio dazu noch den lachsrosa leuchtenden „Fuoripista“ (italienisch für: abseits der Piste) entkorkt, einen Pinot Grigio der Kellerei Foradori, ist der Skitag als Gesamtkunstwerk endgültig unkaputtbar. Nur aufs Weiterfahren will sich danach nicht jeder einlassen. Liegestühle sind vorhanden.
Skifahren mit Genuss
Wann: bis 08.04.2018
Wo: Skipisten in Alta Badia, Corvara
Region: Alta Badia
Mehr Infos, alle Hütten und das komplette Programm unter www.altabadia.org