Über dem Wasser schweben, schwerelos und leicht, in völligem Einklang mit der Natur – Kitesurfen ist der Sehnsuchtssport der Stunde. Susi Mai, Deutschlands beste Kitsurferin, braucht dafür keine großen Wellen
Das Wasser funkelt in der Frühlingssonne, der Schnee glitzert auf den Berggipfeln. Ein kräftiger Frühjahrswind bläst über das Postkartenidyll. „Wir haben ungefähr eine Stunde Zeit“, mahnt Susi Mai zur Eile und zwängt sich in den schwarzen Neoprenanzug. Gerade mal sieben Millimeter ist der dick. Doch für jeden einzelnen wird sie nach der Stunde auf dem eiskalten Bergsee noch dankbar sein.
Wasser und Wind, ein Board und ein Kite – das reicht Susi Mai für einen perfekten Tag. Wind und Wetter hat Mai, eine der weltweit besten Kitesurferinnen, überall und stets im Blick. Wenn die Parameter stimmen, treibt sie die Sehnsucht bei einem ihrer seltenen Aufenthalte in der deutschen Heimat auch schon mal an einen See. „Das Panorama, die Berge – das ist schon etwas ganz Besonderes.“
Warum nicht einfach mal ausgetretene Pfade verlassen und Wanderschuhe und Rucksack gegen Board und Schirm tauschen? Der Trendsport wird seit 15 Jahren vom Deutschen Seglerverband unterstützt und lässt sich auch an einem der großen Seen im Alpenraum erlernen. Beginnerkurse inklusive Ausrüstung gibt es schon um 300 Euro, Schnupperkurse ab 130 Euro. Die Kiteschule Learn 2 Kite in Maurach am Achensee etwa offeriert für 35 Euro ein einstündiges Softkite-Training an Land. So lässt sich problemlos herausfinden, ob Kitesurfen als Alternative zu Wandern, Klettern oder Biken taugt.
Als gebürtige Münchnerin zieht es Susi Mai zum Walchensee, 75 Kilometer südlich von der Landeshauptsadt entfernt in den bayrischen Voralpen gelegen. Aufgrund seiner Lage im Talkessel sorgen in den Sommermonaten die aufgeheizten Südhänge von Jochberg und Herzogstand für eine stabile Thermik – perfekt für Wind- und Kitesurfer.
Nachdem Mai den Wind gecheckt hat, wählt sie einen 10er-Schrim, breitet ihn am Ufer aus und pumpt ihn auf. „Das Gerippe aus Luft gibt dem Schirm die nötige Stabilität und bietet dem Wind Fläche, auch wenn er auf der Wasseroberfläche liegt“, erklärt Matthias Müller, Inhaber von Kitemania, dem ersten Kite-Shop in München. Zusammen mit Susi Mai richtet er alles für den bevorstehenden Gang ins Wasser her. Mit großen runden Kieseln beschwert Mai den Kite und legt in Ruhe die Steuerungsleinen aus, an deren Ende die Lenkstange, die Bar, befestigt ist. Die Steuerungsleinen, insgesamt fünf Stück, werden im Chickenloop gebündelt und am Trapez eingehängt.
Was Kitesurfen mit Hühnern zu tun hat? „Anfangs stand der Surfer tatsächlich auf seinem Brett und hatte den Flugdrachen in der Hand. Das kostet natürlich ziemlich viel Kraft“, erklärt Matthias Müller. „Deshalb hat man den Chickenloop und das Trapez entwickelt. Die Kraft vom Kite wird gebündelt und auf den Hüftgurt, das Trapez, übertragen.“ Böse Zungen behaupten, dass seinerzeit nur „feige Hühner“ mit Gurt und Chickenloop gefahren sind.
Kaum ist Susi Mai mit dem Schirm über sich im Wasser, schlüpft sie mit den Füßen in die Schlaufen am Brett und lässt sich vom Wind in eine aufrechte Position ziehen. Scheinbar mühelos lenkt sie den Schirm, nimmt Fahrt auf, und prompt hebt sich das Brett einen guten halben Meter aus dem Wasser. „Das ist wie auf einem magischen Teppich“, ruft sie begeistert, bevor der Wind kurz darauf abreißt und Mai im Türkis des Sees versinkt.
„Diese neuen Hydrofoils sind unglaublich gut. Auch bei wenig Wind kommst du richtig gut ins Gleiten.“ Hydrofoils bezeichnen eine neue Art von Kiteboards, die eine besonders lange Finne an der Unterseite des Bretts haben. Mai war bereits von den ersten Testboards angetan: „Ich habe gleich Matthias angerufen und gesagt: Die musst du dir holen – damit verdoppelst du die Kite-Tage in Bayern!“
Durch die rund einen Meter lange Finne und dem Tauchkörper, der am Ende befestigt ist, bekommt das Brett schon bei wenig Wind und geringer Geschwindigkeit so viel Auftrieb, dass es ins Fliegen kommt. „Der Rumpf sieht aus wie ein kleines Flugzeug, und genauso funktioniert es auch: Durch die Tragfläche wird bei der horizontalen Bewegung so viel Kraft erzeugt, dass sich das Brett aus dem Wasser hebt“, sagt Müller. Natürlich hat er den Rat der langjährigen Freundin beherzigt und das Foilen sofort ausprobiert. Einfach war das zunächst nicht, „auch als Profi legst du dich am Anfang nur hin“. Doch das meist sofort tief abfallende Ufer eines Gebirgssee stellt sich beim Hydrofoil als Vorteil heraus. „Auf dem See hast du natürlich nicht das Problem, dass du mit der Finne plötzlich im Korallenriff oder einer Sandbank hängenbleibst.“ Die neuen Bretter sind also ideal für Bergseen, weil man auch mit wenig Wind und geringer Geschwindigkeit richtig hoch hinauskommt. Wer aber noch nie auf einem Kiteboard stand, der übt besser erst einmal mit einem klassischen Modell. „Gerade als Anfänger ist es gut, wenn du im Wasser stehen kannst und langsam lernst, den Kite aus dem Wasser zu starten. Auf Seen ist das schwieriger“, sagt Müller.
Susi Mai rät Kite-Novizen, zunächst in einem einwöchigen Kurs die Basics zu lernen. „Danach hat einen die Sucht eh gepackt und man will so schnell wie möglich wieder aufs Wasser“, denn: das Gefühl von Kraft, Geschwindigkeit und Höhe sei unvergleichlich, und wenn man das Ganze beherrscht, schlicht der „pure Wahnsinn“. Gut, wenn dann ein See in Reichweite liegt. Einen gewichtigen Vorteil gegenüber den Küstengewässern haben die Alpenseen allemal: raus aus dem Neoprenanzug und rein in den Biergarten. Das Beste am Kiten in den Bergen ist einfach die Brotzeit danach – ganz wie beim Wandern.