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Sven Renz weiß, wo der Schuh drückt

Individuell wie ein Fingerabdruck: Der Laden von Sven Renz in der Neuturmstraße © Fotos: Stefan Pabst

Mit orthopädischen Einlagen macht Sven Renz sich einen Namen, Skistiefel nach Maß bringen den ganz großen Erfolg. Dann lernt er, dass Qualität und Masse nicht zusammengehen. Er findet die Formel für echte Zufriedenheit – die eigene und die seiner Kundschaft

Die Arbeit für die kommende Woche steht bei Sven Renz im Regal, etwa 30 Pappkartons mit Skistiefeln darin: Handarbeit für eine Person. Bis die Besitzerinnen und Besitzer damit auf der Skipiste stehen und gemütlich den Hang hinunterwedeln, -carven oder -brettern, je nach Können, werden noch ein paar Wochen vergehen: Noch fehlt der Schnee. In der Neuturmstraße im Herzen Münchens indes ist die Saison schon in vollem Gang, am ersten Samstag im November hat Renz schon Skischuhe an Kunden aus Karlsruhe, Berlin, Hamburg, Zürich und Stuttgart verkauft, ein Herr kommt regelmäßig aus Paris. Ein Leben lang habe er Probleme mit seinen Skistiefeln gehabt, seit er bei Renz war, sei das vorbei. „Und das war gar nicht so schwer”, sagt Sven Renz und strahlt.

Sportlich-elegant: Sven Renz im lässigen Look mit Skischuh-Leisten in der Hand.

Mit ein paar vagen Handbewegungen zeigt der 50-Jährige auf dem Computerbildschirm, wie ein Fuß im 3D-Scan aussieht. Von den Zehen bis zum Wadenansatz leuchten die Druckstellen rot und gelb, hier muss der Stiefel angepasst werden. Das geschieht mit Hilfe von Holzleisten, die wie rustikale Dekorationselemente vom Verkaufsraum bis in die Werkstatt verteilt sind. In einem speziellen Ofen erhitzt Renz die Schalen der Skischuhe, bis sie weich sind. Auf die Leisten klebt er Korkscheiben, um die anatomischen Besonderheiten des Fußes nachzuahmen und schiebt die Konstruktion in die nun formbare Schale. Nach 24 Stunden ist die Schale ausgehärtet – und Platz für dicke Knöchel oder einen ausgeprägten Hallux valgus. Je nach Bedarf kommen Einlagen dazu und auf Wunsch ein neuer Innenschuh, den Renz mit Zweikomponentenschaum anpassen kann. Fühlt sich der Schuh im Laden gut an, geht es auf die Piste: „Dann schicke ich die Leute zum Skifahren. Nicht gleich nach St. Moritz für zwei Wochen, sondern am besten erst mal für einen Tag ins Zillertal.“ Dann ist der Weg nicht so weit, wenn hinterher nachjustiert werden muss. Aus Erfahrung weiß Renz, dass das nicht selten der Fall ist.

Seit 2002 bietet Sven Renz orthopädische Einlagen für Schuhe aller Art an sowie einen ganz besonderen Service: die individuelle Anpassung von Skistiefeln. Im 3D-Scanner sind inzwischen mehr als 35 000 Scans von den Füßen seiner Kundschaft gespeichert. „Wenn man so viele Füße gesehen und in der Hand gehabt hat, hat man a bisserl Erfahrung“, sagt Renz mit einem Hauch von Understatement. „Ich spüre schnell, welche Schuhe oder Einlagen einem Menschen passen könnten.“

Diese Intuition hat sich der gebürtige Schwabe in der Praxis angeeignet. Vor 30 Jahren studierte er zunächst Innenarchitektur an der Kunstakademie in Stuttgart, die Liebe zum Interieur sieht man dem kleinen Verkaufsraum in der Neuturmstraße an. Schwarze Industrielampen hängen von der Decke, ein Boxsack und Böcke mit Kalbslederbezug schaffen Turnhallenflair, während mit Holz verkleidete Wände und historische Plakate für Skigebiete werben. Eine italienische Espressomaschine der Marke Faema, Baujahr 1965, verleiht dem Verkaufstresen die Atmosphäre einer Kult-Kaffeebar. Schon von klein auf spielt Sport für Sven Renz eine große Rolle, als Student tritt er als Triathlet bei der Bundesliga an und jobbt nebenbei in einem Laufsportgeschäft. Nach dem Diplom entscheidet er sich gegen eine Karriere an der Uni, zieht in seine Traumstadt München und eröffnet einen Laufsportladen, „das fand ich cooler“. Am Rande der Sportmesse Ispo lernt er seine langjährige Ehefrau kennen, die ehemalige Skirennläuferin Martina Ertl. Der erste Laden befand sich in der Ohlmüllerstraße im Stadtteil Au. „So viel Glück wie ich kann man gar nicht haben“, denkt Sven Renz damals. Der Umsatz steigt kontinuierlich, nach wenigen Jahren verkauft er bereits 1500 Schuhe im Jahr.

Dazu kommt die hervorragende Klientel: Renz macht auf Empfehlung des bekannten Münchner Sportarztes Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt alle orthopädischen Einlagen für den FC Bayern München. Aus aller Welt kommen Prominente zu ihm: Eric Clapton, Siegfried & Roy, Penelope Cruz – sie alle, sagt Renz, besitzen Einlagen aus seiner Hand. Das Geschäft vergrößert sich seinerzeit enorm, er eröffnet auf 450 Quadratmetern in der Brienner Straße einen Laden für Skimode aus dem Luxussegment, wo eine Jacke 2000 Euro kostet und selbst die Skihosen von Hand angepasst werden. Seinem Kerngeschäft, den orthopädischen Einlagen, bleibt er treu. Renz beschäftigt etwa 35 Mitarbeiter in München, weltweit arbeiten 30 Händler mit seinem System, schicken Scan-Daten aus den USA, aus Polen oder Österreich nach München, wo Renz und sein Team die Stiefel in der Werkstatt anpassen und mit Einlegesohlen versehen. In einer einzigen Saison, erinnert sich Renz, habe er mal 2500 Skischuhe verkauft. „Das war too much“, resümiert er heute.

Fehler seien passiert, Menschen verärgert aus dem Laden gegangen. Er musste Stiefel zurücknehmen, die nicht passen, im letzten Winter in der Brienner Straße sind das an einem besonders ungünstigen Tag schon mal drei Paar Stiefel. Das ist schlecht fürs Geschäft, in wirtschaftlicher und werblicher Hinsicht. Der Umsatz bricht ein. Sven Renz entscheidet sich für eine radikale Verjüngungskur: Er vermietet die riesige Ladenfläche an den Lampenhersteller Occhio und zieht in die ehemalige Warenannahme des Nachtclubs Atomic Café. Von 450 auf 140 Quadratmeter, von 30 Beschäftigten auf drei, Sven Renz selbst ist einer davon. Heute geht jedes Paar Stiefel, jede Einlage mehrmals durch meine Hände, bevor ich sie verkaufe”, sagt Renz. „Und ich habe viel mehr Arbeit, aber deutlich weniger Stress.”

– 1–3 Individuell wie ein Fingerabdruck: Laden und Logo von Sven Renz in der Neuturmstraße. – 4 Die Holzskier waren ein Geschenk zum ersten Geschäft. – 5 Wall of Fame im Arbeitszimmer: Dirk Nowitzki war hier genauso wie Familie Mittermaier-Neureuther. – 6–8 Arbeitsmaterial oder Deko? Der Laden ist geschmackvoll gestaltet, doch niemals geht Form vor Funktion.

Mehr Arbeit hat Renz vor allem, weil er sich dafür entscheidet, keinen Meister mehr einzustellen. Das ist normalerweise nötig, um Kundenrezepte über die Kasse abrechnen zu können. Da er keine Ausbildung in der Orthopädieschuhtechnik hat, dafür mehr als 15 Jahre Berufserfahrung vorweisen kann, meldet er sich für eine Prüfung an der Handwerkskammer an, um eine Sondergenehmigung zu bekommen. Das heißt, ein strammes Fortbildungsprogramm zu absolvieren, zwei Jahre lang besucht er fast jedes Wochenende Seminare, um sich das medizinische und orthopädische Fachwissen anzueignen. Heute kennt er sich aus mit Muskeln wie Tibialis posterior, Flexor hallucis longus oder Flexor digitorum. Die Prüfung besteht er im November 2019. „Aus intrinsischer Motivation gelang es mir, mich da reinzufuchsen”, sagt Sven Renz und schafft es dabei, Umgangssprache und Fremdwörter so lässig miteinander zu verbinden, wie er selbst in Jogginghose und Daunenweste die Haute Couture der Skistiefel an den Mann und die Frau bringt.

Auch privat hat sich viel verändert. Seit der Trennung von Martina Ertl führt er den Laden allein, seine jetzige Frau ist nicht am Geschäft beteiligt. Statt Triathlon und Radsport widmet er sich inzwischen dem Kraftsport, hat mit Muskelmasse drei Kleidergrößen dazugewonnen und beginnt jeden Tag mit einem Eisbad. Er praktiziert Yoga und liest spirituelle Literatur, interessiert sich für die Stoiker. „Wie die es geschafft haben, sich vor bald 3000 Jahren auf das Wesentliche zu konzentrieren, das beeindruckt mich.“ Für ihn heißt das: Jeden Tag bewusst leben, sich mit voller Aufmerksamkeit seinem Beruf widmen und lieber 200 Paar richtig guter Schuhe im Jahr nach Maß anfertigen als 2000 Paar via Massenfertigung.

Gutes Schuhwerk hat seinen Preis, zum Preis für den Skistiefel kommen die Kosten für die Anpassung, dazu Einlegesohlen – da addiert sich schnell ein Betrag von 900 Euro zusammen. Er sagt: „In meinem Laden bekommt jeder einen Termin. Wer sich neue Einlagen kaum leisten kann, den schicke ich nicht weg. Altenpflegerinnen und -pfleger verdienen zum Beispiel nicht viel, machen aber einen wichtigen Job. Ihnen komme ich auch mal finanziell entgegen.“

Mit seiner heutigen Ruhe und Gelassenheit macht Sven Renz auch die Zukunft des Skisports keine Sorge. Der Schnee wird zwar immer weniger, Skigebiete schließen und das Interesse am Wintersport lasse deutlich nach. Doch Fußprobleme werden die Menschen immer haben. „Auch Künstliche Intelligenz und 3D-Drucker werden die menschliche Expertise nicht ersetzen können“, ist Renz überzeugt, „ich glaube an das Handwerk und das Gefühl.“ Und wenn er dereinst keine Skistiefel mehr anpassen und verkaufen kann, würde er sich voll auf orthopädische Einlagen konzentrieren. Vielleicht wird der Laden dann noch kleiner, dann macht er den Job irgendwann womöglich ganz allein. „Das wäre mir eh am liebsten“, sagt er und lacht.

Sven Renz – unique on feet

Neuturmstraße 5
80331 München

T. +49/(0)89/622 8688-22
info@svenrenz.cc

Mehr Infos unter svenrenz.cc

– 1–2 Sohlen und Stiefel – die Kernkomponenten von Sven Renz’ Geschäftsmodell. – 4–8 Die Laufanalyse per Kamera und 3D-Scan bedient sich moderner Hilfsmittel, doch die Anpassung der Schuhe erfolgt von Hand. Auch ein anatomisch korrektes Modell der Fußmuskulatur wird hin und wieder zu Rate gezogen.