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„Wann gehen wir mal wieder Wandern?”

Kammerlanders Grenzgänge – Zug zur Spitze. Hans Kammerlander über seine Erlebnisse als Bergführer

© Illustration: Bianca Litscher

Hans Kammerlander über ein Thema, das ihm am Herzen liegt: Kinder in der Natur

Wir müssen weiter!“ Wenn Kinder mit ihren Eltern in der Natur unterwegs sind, dann hören sie diesen Satz oft, sehr oft sogar. Die Erwachsenen haben das Ziel im Auge, das Gipfelbuch oder die Hütte, wo ab 12 Uhr die Tische besetzt sind. Und die Kinder? Werden in ihrer Entdeckungslust ständig unterbrochen. Müssen Steine, die gerade interessant wären, oder Tannenzapfen ignorieren und das tun, was sie am wenigsten interessiert: schnurstracks weiterwandern. Dabei ist es ja löblich, wenn Eltern ihre Kinder in die Natur bringen. Sie ist der größte Lehrmeister für uns alle, davon bin ich überzeugt. Nur kann das bloß eingeschränkt passieren, wenn im Hintergrund immer ein Plan mitläuft, was an dem Tag sonst noch alles geschafft werden muss. Welche Auswirkungen das haben kann, hat mir letzthin eine Hüttenwirtin im Ultental erzählt. Seit ein paar Jahren bewirtschaftet sie eine Alm, kümmert sich um die Tiere, bewirtet Gäste und kann es im Frühjahr gar nicht mehr erwarten, für ein paar Monate ihr Leben dorthin zu verlegen.

Das war nicht immer so. Als Kind musste sie stundenlang mit ihren Eltern wandern. Es gab keine Diskussionen, keine Pause, es gab nur dieses Hobby, in diesen schweren Bergschuhen, die sie hasste. Das ging so weit, dass sie eine regelrechte Abneigung gegen das Wandern entwickelte. Erst Jahrzehnte später hat sie sich davon befreit. Sie ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, Kindern die Freude an der Natur zu vermitteln, aber das Ganze nicht mit Leistung und Tagestouren zu verknüpfen. Das erlebe ich oft auch im Winter. Da frieren den Kindern beim Skifahren fast die Hände ab, aber die Tageskarte muss bis 16 Uhr ausgenutzt werden. Sorry, aber das ist der beste Weg, die Kinder zu verbraten.

Meine Tochter Zara ist noch nie gern gewandert. Sie ist jetzt 14 und lebt mit ihrer Mutter in Hamburg. Wenn sie mich in den Ferien besuchen kommt, dann gehen wir raus in die Natur, aber weder zum Klettern noch peilen wir einen Gipfel an. Natürlich würde ich ihr gerne gewisse Dinge zeigen, aber die Lust dazu muss von ihr selbst kommen. Letzthin hat sie mich gefragt, ob sie einmal mit nach Nepal darf. Wenn der Wunsch bei ihr stärker wird, werde ich sie mitnehmen und ihr das Leben der Kinder dort zeigen.

Die sind dermaßen naturverbunden, dass wir uns das heute in unserer handyverseuchten Welt gar nicht mehr vorstellen können. Einmal habe ich einen kleinen Jungen beobachtet, der ganz nah an einem Abgrund gespielt hat. Niemand hat ihn davon abgehalten oder gesagt: geh weg da. Oder das kleine Mädchen, das ein Baby auf dem Rücken trug. Sie überquerte einen Wildbach, hüpfend von einem rutschigen Stein auf den nächsten. Ein Ausrutschen und das Baby würde mitgerissen. Für diese Kinder sind solche Situationen normal, sie sind ein Teil ihres Lebens. Ihre Selbstständigkeit ist wirklich beeindruckend.

Für uns ist so etwas undenkbar. Das zeigt mir, dass wir uns von der Natur auch ein Stück weit wegbewegt haben. Das mag in vielen Situationen seine Richtigkeit haben, aber es bedeutet auch viel unnötige Angst und Vorsicht. Kinder gehören hinaus in die Natur. Wenn ich Eltern also etwas raten kann, dann ist das ganz einfach: Plant lieber etwas mehr Zeit fürs Spielen am Bach oder im Wald ein. Dann heißt es am Ende vielleicht auch: Wann gehen wir mal wieder wandern?

Der Extrembergsteiger

Der 1956 in Südtirol geborene Extrembergsteiger gehört zu den bekanntesten seines Fachs. Er stand auf 12 Achttausendern und meisterte als Erster eine von zwei Varianten der Seven Second Summits. In jeder Ausgabe von ALPS erzählt Kammerlander eine Geschichte, die ihn besonders geprägt hat.

Web: www.kammerlander.com