Detailversessen und produktverliebt kitzelt ein Garmischer Ex-Eishockey-Profi das Beste aus der Bohne. Zu Besuch beim Bergröster in der Rösterei Wildkaffee (ALPS Magazine #29 2/2016 Review)
Die Sonne scheint im Werdenfelser Land, die schneebedeckte Kramerspitze hebt sich vom blauem Himmel ab, alpine Bilderbuchkulisse. Doch „Hardi“ Wild ist unzufrieden. Er taucht einen Löffel in ein Glas mit cognacbrauner, lauwarmer Flüssigkeit und führt ihn zum Mund. Mit einem Schlürfen saugt er die Brühe ein und schluckt. Hardi schüttelt den Kopf. „Schmeckt nicht“, sagt der 36-Jährige in blauem Hemd, Jeans und roter Schirmmütze. Dabei ist das, was er da verkostet, eigentlich sein Lieblingskaffee, Bohnen aus Kenia.
Aber Leonhard Hardi Wild, Inhaber von Wildkaffee und Kaffeeröster von Beruf, ist ein Mann, der keine Kompromisse mag. Wenn er sein Erzeugnis im loftartigen Obergeschoss seiner Rösterei testet, muss das Ergebnis stimmen. „Spritzig und fruchtig“, wie einen jungen Chardonnay, wünscht er sich den Filterkaffee. Links von ihm prangt ein elektrischer Vierkilo-Röster im Retro-Look, auf einem rustikalen Holztisch liegt eine Fachzeitschrift für Kaffeeliebhaber, rechts von Hardi befinden sich Mühlen, Espressomaschinen und Milchaufschäumer im XXL-Format.
„Ein Künstler muss Leidenschaft in sich tragen“, sagt Hardi. Bei der Zubereitung von Kaffee macht er keine Fehler. Für das Cupping, wie die fachgerechte Verkostung auf Englisch heißt, mahlt er die Bohnen einen Hauch gröber, als für Filterkaffee nötig wäre, wiegt mit einer Löffelwaage elf Gramm davon ab und gießt sie langsam mit 200 ml Wasser auf, das auf exakt 93 Grad temperiert ist. Er lässt das Getränk drei Minuten lang ziehen, bricht die Kruste, die sich auf der Oberfläche gebildet hat, mit dem Löffel, und riecht am Bukett. Er schlürft das Getränk, weil der zusätzliche Sauerstoff die Aromen verstärkt. Zitronige Noten prickeln auf der Zunge, der Abgang erinnert an dunkle Schokolade. Hardi korrigiert sein Urteil: „Schlecht ist der Kaffee natürlich nicht.“ Lediglich Dezimalstellen von der Bestnote entfernt.
Was der Profi herausschmeckt, sind Aromaschwankungen, die bei einem Naturprodukt normal sind – und überhaupt nur beim Verkosten wahrnehmbar. Cupping ist etwas für Experten, kein Mensch trinkt morgens so seinen Kaffee. Hardi merkt dabei, ob Frucht- oder Schokoladennoten optimal zur Geltung kommen. „Alles Training“, sagt der ehemalige Eishockeyprofi und grinst.
„INS CAFÉ GEHT MIT MIR KEINER MEHR“
Der gebürtige Oberbayer spielte zehn Jahre lang in der Bundesliga, bei den Kölner Haien, den Hamburg Freezers und den Augsburger Panthern. „Einerseits eine harte Zeit, denn als Torwart trug ich viel Verantwortung. Andererseits“, sagt Hardi, „wurde mir irgendwann langweilig.“ Mit Ehefrau Stefanie, einer Ex-Skirennläuferin, macht er seit acht Jahren Kaffee. Sie kaufen die Bohnen roh, direkt bei Bauern aus Kenia, Burundi, Nicaragua oder Brasilien. Sie rösten selbst, mischen, verpacken und verkaufen an Gastro- und Privatkunden. Seit 2014 schenken sie den Kaffee in ihrem Café in der Garmischer Bahnhofstraße aus. Schwarze Zahlen schreibt Wildkaffee seit etwa 2011, nachdem das Paar jahrelang täglich zehn Stunden und mehr gearbeitet hat: als Sportler, Röster und Geschäftsleute. Ein harter Job – und ziemlich hip.
Die Wilds gehören zur neuen Generation von Kaffeeröstern, die für das menschlich veredelte Naturprodukt das tun, was junge Winzer Anfang der 90er-Jahre für den Wein geleistet haben, nachdem Übermengen und lausige Qualität den Markt fast zerstört hatten: ihn durch radikale Selektion vom billigen Massenprodukt in Edelware zu verwandeln, vom Supermarktregal in die Vitrinen von Feinkostläden zu begleiten.
Als „Kaffee-Hipster“ bezeichnen Medien die neuen Röster, die nach US-amerikanischem Vorbild arbeiten. Hardi glaubt indes nicht an einen Trend. Das heutige Konsumverhalten vieler Deutscher, die Nachhaltigkeit und ökologische Lebensmittelverarbeitung belohnen, indem sie für handgefertigte Produkte angemessene Preise zu zahlen bereit sind, statt um minderwertige Ware aus dem Discounter zu feilschen – das hält er für einen nachhaltigen Bewusstseinswandel. Als nähmen Herrmannsdorfer und Manufactum Kurs auf den Mainstream.
„EIN KÜNSTLER MUSS LEIDENSCHAFT IN SICH TRAGEN“
Hardi stellt sein Glas mit dem Testkaffee zurück auf den Tisch. Er sei, sagt er, besonders stolz, wenn ein Kunde zu ihm sagt: „Das schmeckt ja gar nicht wie Kaffee.“ Die meisten Menschen wüssten nicht, wie man das Getränk richtig zubereitet. Oft würden Fehler bei der Röstung gemacht. Starbucks etwa verbrenne seine Bohnen regelrecht. Logisch: In einen der übergroßen Pappbecher passt zehnmal mehr Milch als Kaffee, da muss der Espresso schon ungenießbar bitter sein, um sich zu behaupten.
Im Erdgeschoss der Rösterei Wildkaffee brummt und rattert eine Röstmaschine, die vom Fußboden bis zur Decke reicht. 45 Kilogramm Bohnen passen hinein. Josef Staltmayr beobachtet auf einem Monitor eine Kurve. Sie sieht aus wie ein rasant ansteigender Aktienkurs, der plötzlich an Wert verliert, und sie bestimmt die Intensität, mit der der Röster den Bohnen Hitze zuführen muss. Wie bei einer Waschmaschine sieht man durch ein Bullauge hindurch rohe grüne Bohnen im Innenraum wirbeln. „Der Stalti macht nie Fehler“, ruft Hardi gegen den Lärm an. „Mir ist früher öfter mal eine Ladung verbrannt, ich bin zu hektisch.“ Seinem Mitarbeiter sei das erst einmal passiert. Da habe er sich richtig gefreut, obwohl es ihn Geld gekostet hat. Sportlicher Kampfgeist mit einem Hang zum Perfektionismus als Erfolgsrezept.
In der Garmischer Bahnhofstraße zwängt sich Hardis Café zwischen ein Nagelstudio und die Sparkasse. Mütter mit Kinderwagen und durstige Berufstätige stehen Schlange am Tresen, um Cappuccino, Espresso oder Tee, letzterer serviert mit Stoppuhr, zu bestellen. Barista Benny bereitet Filterkaffee je nach Wunsch zu: mit dem japanischen Filteraufsatz Hario V60 Dripper, in der taillierten Chemex, deren Prototyp im Museum of Modern Art in New York ausgestellt ist. Oder mit einer Aeropress, die der klassischen French Press nachempfunden ist, zusätzlich aber über einen Filter verfügt, damit das Pulver nicht im Getränk bleibt. In der Küche kocht Waltraud von halb sechs Uhr morgens an auf zehn Quadratmetern vegane Suppen, backt Kuchen nach Art des Hauses und belegt Dinkel-Sandwiches. Hardi ist stolz auf seine Mitarbeiter, die meisten von ihnen kennt er schon ein Leben lang.
Noch länger begleitet ihn die Kaffeekunst. Urgroßvater Leonhard eröffnete 1892 einen Laden, in dem er frische Milch und Sahne verkaufte und Kaffeebohnen röstete, die er aus Hamburg bezog. Das sei damals einzigartig im Alpenraum gewesen, sagt Hardi – „allerdings hat der noch nicht so ein Geschiss daraus gemacht wie wir heute.“ Er selbst war gerade im Urlaub auf Gran Canaria. Im Frühstücksraum seines Hotels zog er Blicke auf sich, weil er seinen eigenen Kaffee mitgebracht hatte, ihn jeden Morgen in seiner eigenen Mühle mahlte und selbst aufgoss. „Ins Café geht mit mir keiner mehr“, sagt Hardi. „Nicht einmal meine eigene Frau.“
Die Wertschätzung des Produkts hat ihn auch Respekt vor den Menschen gelehrt, die in entlegenen Winkeln der Welt Kaffee anpflanzen, züchten und ernten. In Nicaragua etwa würde er gern eine Krankenschwester beschäftigen, in einem Bergdorf hoch über Wiwilí, wo an einem einzigen Tag im Monat ein Arzt 1300 Leute versorgen muss. Bisher hat das nicht geklappt, denn der Staat gestattet es Ausländern nicht, einem ihrer Bürger das Gehalt zu zahlen. „Ich kann die Welt nicht verbessern“, sagt Hardi. Ein Idealist ist er nicht, eher schon Realist, der seine Träume lebt.
„Über den Kaffee habe ich den Genuss aller Lebensmittel entdeckt“, sagt Hardi. Er interessiert sich für Wein und träumt davon, sein eigenes Bier zu brauen. Ob es irgendwann auch Wildbier und Alpenwein im Werdenfelser Land gibt? Hardi zögert, dann lacht er und schüttelt den Kopf. „Ich esse und trinke mit Begeisterung. Aber verrückt“, sagt er, „verrückt bin ich nur nach Kaffee.“
Wildkaffee
Im Café in der Bahnhofstraße 40–42 in Garmisch-Partenkirchen servieren Profi-Baristi Kaffee, Tee, Kuchen und Snacks. Außerdem gibt es hier sämtliche Kaffee-Spezialitäten zu kaufen.
T. +49/8821/754 67 15
Web: www.wild-kaffee.de
Kaffeerösterei Kuntrawant
Die Vinschgauer Rösterei von Josef Gander heißt nach den Schmugglern, die einst Kaffee, Zucker und Zigaretten nach Südtirol schleusten. Ausgeschenkt wird der Kaffee im „Café am Platzl“ in Prad. Oder im Hotel Muchele in Burgstall.
Web: www.kuntrawant.com
Erste Tegernseer Kaffeerösterei
Mit 40 reinsortigen Kaffees die einzige Spezialitäten-Kaffeerösterei im Landkreis Miesbach und Bad Tölz. Ausgeschenkt wird im „Café Felix“, Tegernseerstr. 104 in Weißach.
Web: www.tegernseer-kaffeeroesterei.de
Kaffeerösterei Murnau
Ausgezeichnet als Röster des Jahres 2015 und Gewinner des Bayrischen Mittelstandspreises. Plus vielfältiges Kursangebot rund um das Zubereiten von Kaffee. Das Kaffeehaus befindet sich Am Mösl 4 in 82418 Murnau.
Web: http://www.murnauer-kaffeeroesterei.com